Ein Begriff für viele Chancen
Dieser Beitrag ist im KINDgerecht-Magazin für frühkindliche Bildung erschienen. Hier können Sie das Magazin herunterladen und weitere interessante Beiträge rund um das Thema Nachhaltigkeit lesen.
Nachhaltiges Denken und Handeln sind erlernbar, darin sind sich Politik und Bildungsverantwortliche einig. Und es soll so früh wie möglich damit begonnen werden. Welche Impulse von der frühen Bildung für mehr Nachhaltigkeit ausgehen können und was das für Kitas bedeutet, erläutert Valeska Pannier, Abteilungsleiterin für Pädagogik und Qualitätsentwicklung bei FRÖBEL.
Lernen die Welt zu verändern – nicht weniger will eine Bildung für nachhaltige Entwicklung vermitteln. Aber meinen wir auch alle das Gleiche, wenn – meist abgekürzt – von BNE die Rede ist?
Weil Bildung für nachhaltige Entwicklung auf eine lebenswerte Zukunft auf unserem Planeten abzielt, werden darunter häufig in erster Linie Bildungsaktivitäten rund um Klima- und Umweltschutz subsummiert. BNE ist aber nicht einfach ein neues pädagogisches Thema, sondern geht noch über die Umsetzung einzelner, oft vorrangig ökologischer, Projekte hinaus. Mit Bildung für nachhaltige Entwicklung ist die grundsätzliche Einsicht verbunden, dass wir als Menschheit nicht so weiterleben können wie bisher.

Wir brauchen eine Kultur der Nachhaltigkeit, die begrenzte Ressourcen sozial gerecht verteilt. Wir sind bereits eingebunden in einen Veränderungsprozess, in dem viele Facetten einer nachhaltigen Kultur entwickelt werden müssen: Demokratische Teilhabe und gerechte Mitgestaltung aller, weitsichtige Planung und verantwortliches Handeln, kompetenter Umgang mit Unsicherheiten, friedliche Konfliktlösungen, Mitgefühl und Fürsorge für andere Menschen, um nur einige zu nennen.
Bildung für nachhaltige Entwicklung will in all diesen Aspekten zu einem zukunftsfähigen Denken und Handeln befähigen und umschließt damit auch andere große Themenfelder wie Demokratiebildung, Inklusion, Partizipation und Chancengerechtigkeit. Das bietet zahlreiche Chancen und vielfältige Anknüpfungspunkte für das Lernen in jedem Lebensalter.
Eine nachhaltigere Lebensweise kann auch unbequem sein, mit Verzicht auf Verhaltensweisen, Besitz oder Konsum verbunden. Verzichten kann aber nur, wer genug hat. Sind Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit im Sinne gleicher Lebensbedingungen vereinbar?
Die spannende Frage ist ja, was bedeutet „genug“ – für jede und jeden einzeln, aber auch insgesamt betrachtet? Und was brauchen wir wirklich für ein gutes Leben? Unser Gefühl, etwas unbedingt für unser Glück zu benötigen, wird von jüngster Kindheit an durch unser Umfeld beeinflusst – und wenn uns früh bewusst ist, was uns genügt für ein gutes Leben, entstehen später weniger Widerstände gegen ein nachhaltiges Handeln.
Welche Kosten wir mit einem modernen Lebenswandel erzeugen, ist häufig schwer zu begreifen. Wir stellen die Kosten vielmehr in Rechnung: der Natur, den Menschen in schwächeren sozialen Lagen, den Kindern der kommenden Generationen. Das funktioniert aber nur, weil wir es in aller Regel nicht bewusst reflektieren, denn wir Menschen sind nicht im Grunde unseres Wesens selbstbezogen und gierig.
Kinder kommen schon als mitfühlende und soziale Wesen zur Welt. Das Bewusstsein zu fördern, zwischen unserem Verhalten und dem Unrecht, das es erzeugt oder verstärkt, ist ein wichtiger Baustein einer Bildung für nachhaltige Entwicklung, eben weil es unbequem sein kann und darum nicht von ganz allein passiert.

Wie lässt sich das Kindern vermitteln?
Kinder verstehen diese Zusammenhänge besonders leicht, wenn sie direkt erfahrbar werden. Was für „Kosten“ entstehen tatsächlich bei einer Vesper mit den Lieblingsprodukten der Kinder? Was könnte man daran verändern oder es alternativ herstellen? Woran merke ich, was ich wirklich möchte und brauche und was ist mir das wert? Wie verhandeln wir in der Kindergemeinschaft, was wir wirklich wollen, wenn wir gemeinsam nur ein begrenztes Budget zur Verfügung haben?
In den ersten Lebensjahren entwickelt sich auch das moralische Urteilsvermögen und Unrechtsbewusstsein von Kindern, zum Beispiel indem sie erfahren, dass ihre eigenen Rechte geachtet werden und andere Kinder ihrerseits dieselben Rechte genießen. Für ein friedliches Miteinander müssen Konflikte geklärt und Lösungen ausgehandelt werden. Diese Lernprozesse unterstützen pädagogische Fachkräfte von Anfang an und leisten auch damit bereits einen zentralen Beitrag für eine Bildung für nachhaltige Entwicklung.
Gesellschaften werden sich nur in Richtung Nachhaltigkeit bewegen, wenn Klimaschutz zur sozialen Norm wird, lautet ein Fazit der PIK-Studie. Welchen Beitrag kann die frühe Bildung hierfür leisten?
Viele unserer Gewohnheiten werden in der Kindheit geprägt. Wenn Klimaschutz die soziale Norm ist, dann lernen Kinder in den ersten Lebensjahren besonders mühelos, welches Verhalten erwünscht ist oder auch negative Konsequenzen hat. Soziales Lernen durch Beobachtung und Nachahmung ist eine der bemerkenswertesten Kompetenzen, die Kinder von Anfang an besitzen. Schon Säuglinge ahmen die Mimik eines Erwachsenen nach und junge Kinder sind eifrig bemüht, alles nachzumachen, was die „Großen“ ihnen vorleben. Sich n soziale Normen und Regeln zu halten, sichert Aufmerksamkeit, Fürsorge und Zugehörigkeit – sei es in der Familie oder der größeren Gemeinschaft von Kindern und Erwachsenen.
Da leuchtet es unmittelbar ein, dass der Grundstein für eine soziale Norm der Nachhaltigkeit auch durch die frühe Bildung gelegt wird. Es ist aber für Kinder ganz besonders wichtig, auch die Erfahrung machen zu können, dass soziale Regeln nicht starr und unüberwindbar sind, sondern gemeinsam ausgehandelt und den Bedürfnissen der Gemeinschaft angepasst werden.
Mit welchen Herausforderungen ist das für pädagogische Fachkräfte verbunden?
Die Arbeit pädagogischer Fachkräfte zielt darauf ab, Kinder dazu zu befähigen, ihre eigene Zukunft aktiv und zum Wohle aller gestalten zu können. Dafür kreieren sie eine Kultur des Aufwachsens, in der im Kleinen erlebbar wird, worauf die Gesellschaft als Ganzes hinauswill.
Dafür schaffen sie Räume für ein friedvolles, inklusives Zusammenleben auf der Basis geteilter Werte, fördern die selbstbestimmte und rücksichtsvolle Erkundung der Natur, greifen die Fragen der Kinder auf und philosophieren mit ihnen.
Sie sind dabei Vorbilder und werden von den Kindern sehr genau beobachtet. Das erfordert eine vertiefte Auseinandersetzung mit den eigenen Überzeugungen und Gewohnheiten, man muss bereit sein, das eigene Handeln auch zu verändern. Für uns ist das vermutlich die größte und langfristigste Herausforderung, denn eine Haltungsänderung ist keine Kleinigkeit.
Gibt es ausreichend Unterstützungsangebote von Politik und Kommunen?
Es ist wichtig, dass konkrete Anreize für ein nachhaltiges Verhalten gesetzt werden, die alle Lebensbereiche betreffen. Einige Anknüpfungspunkte für Kitas wären beispielsweise: Das Investitionsprogramm des Bundes, das seit vielen Jahren neu aufgelegt wird, um den Ausbau von Kita-Plätzen voranzutreiben, ist bisher nicht an ökologische Standards rund um Neubauten oder Sanierungen gebunden und müsste damit verbunden auch weiter aufgestockt werden.
Die Länder haben zum Teil noch sehr wenig über die Bedeutung von BNE in ihren jeweiligen Bildungsprogrammen und -plänen formuliert. Hier braucht es eine Weiterentwicklung, die gleichzeitig mit flächendeckenden Unterstützungsprogrammen für die Fachpraxis flankiert werden muss, um in die Umsetzung zu kommen.
Kommunen sollten prüfen, wie auch sie die systematische Transformation vor Ort beschleunigen können, beispielsweise freie Flächen für eine nachhaltige Bewirtschaftung sichern und mit den Trägerorganisationen vor Ort verabreden, wie sie ökologische Projekte fördern und als Bildungs- und Beteiligungsprozesse für Kinder entwickeln können. Grundsätzlich sind Institutionen für Kinder und ihre Familien Knotenpunkte in einer lokalen Bildungslandschaft, die sich insgesamt zu einem nachhaltigen Lebensraum entwickeln muss.