Neue Kommunkationswege als zentrales Element in Pandemiezeiten
Die Studie Kindertagesbetreuung und Familien mit Kita-Kindern in der Corona-Zeit der Universität Bamberg untersuchte Herausforderungen und Auswirkungen der Corina-Pandemie. Zum einen nahmen sie die Perspektive der Familien und zum anderen die Sichtweise der Kitas in den Blick. Wir konnten eine der Studienleiterinnen, Dr. Franziska Cohen, für ein Interview gewinnen.
Zunächst interessiert uns, wie es zu dieser Studie kam?
Die Schließungen der Kitas und Kindertagespflegestellen als Maßnahme zur Eindämmung des Corona-Virus nahm uns sozusagen direkt unser Hauptgeschäft ab – laufende Untersuchungen in Kitas oder in Familien wurden gestoppt. Dazu kommt, dass die Schließung der Kitas alle Fachkräfte und Familien vor enorme Herausforderungen stellte. Es gab keinen Fahrplan, wie in so einem Fall auf starke Veränderungen zu reagieren ist. Diese einmalige Situation, die unglaublich viel im Feld Kita und in den Familien bewegen kann, wollten wir untersuchen. Wir wollten genauer wissen, was gerade in den Kitas und auch in den Familien passiert und wie Fachkräfte und Familien mit diesen Veränderungen umgehen. Wir waren mit dem Studienstart Mitte April die erste Studie dieser Art im Frühkindlichen Bereich. Wenn man sich die normalerweise langen Laufzeiten von wissenschaftlichen Studien anschaut, ist diese Studie extrem schnell konzipiert und umgesetzt worden und kann deshalb schon jetzt Ergebnisse liefern, die auch für die Zukunft im Umgang mit eventuellen Schließungen relevant sind.
Ihr habt Euch, sicher auch aufgrund der besonderen Situation, für eine Online-Befragung entschieden. Was genau habt Ihr dabei untersucht?
Die Studie „Kindertagesbetreuung und Familien mit Kita-Kindern in der Corona-Zeit“ untersuchte sowohl die Familien als auch die Fachkräfte in den Kitas. Uns interessierten dabei vor allen die Auswirkungen der Schließungen der Kitas auf den Familienalltag sowie auf die Arbeitssituation von Fachkräften.
Wir haben Familien zu ihren Belastungen, der Vereinbarkeit von Beruf und Betreuung der Kinder, der Gestaltung des Alltags, der Mediennutzung im Alltag sowie zur Zusammenarbeit mit den Kinderbetreuungseinrichtungen befragt.
Die pädagogischen Fachkräfte in Kitas und Tagespflege wurden zum Umgang mit der aktuellen Tätigkeitssituation befragt, wie sie ihre Rolle als Fachkraft in der Schließzeit wahrnahmen, wie die Familienzusammenarbeit gestaltet wurde und welche Einstellungen sie zur Nutzung von digitalen Medien für die Zusammenarbeit mit den Familien hatten.
Eure Befragung richtete sich an alle frühpädagogischen Fachkräfte und Familien deutschlandweit – wer hat schlussendlich an der Befragung teilgenommen?
An der Familienbefragung haben bundesweit 9436 Familien teilgenommen (davon 88% Mütter), deren Kinder im Alter von null bis sechs Jahren alt waren. An der Kitabefragung haben insgesamt 4968 Erzieher und Erzieherinnen, Leitungskräfte und Tagesmütter/-väter bundesweit teilgenommen. Familien und Fachkräfte stammen aus allen Bundesländern, wobei Bayern, Baden-Württemberg und Nordrhein-Westphalen der Größe entsprechend am stärksten vertreten waren. Diese überwältigende Resonanz auf die Studie war für uns sehr überraschend, gleichzeitig zeigt sie aber auch, wie dringend das Bedürfnis von Familien und Fachkräften war, sich Gehör zu verschaffen. Wir danken an dieser Stelle allen Fachkräften und Familien auch in den FRÖBEL-Einrichtungen ganz herzlich für ihre Teilnahme.
Was sind die zentralen Ergebnisse aus der Online-Befragung der Familien?
Die Familienbefragung zeigte, dass viele Familien es als positiv empfanden, mehr Zeit mit ihren Kindern zu verbringen; gleichzeitig wurde aber auch ein erhöhtes Belastungspotential deutlich. So berichteten 86% der Familien, dass die Vereinbarkeit von Familie und Beruf besonders herausfordernd war, 76% fühlten sich durch die Vielzahl an Belastungen häufig gestresst. Insbesondere bei erwerbstätigen Familien im Home-Office und bei Familien mit finanziellen Problemen waren diese negativen Auswirkungen der Kita-Schließungen besonders gravierend. Die Ergebnisse zeigen, dass solche Mehrfachbelastungen, z.B. durch die Betreuung der Kinder und das gleichbleibende Arbeitspensum, viele Familien vor ernstzunehmende Schwierigkeiten stellen.
Jedoch hatten die Maßnahme der Schließung der Kindertagesbetreuung auch positive Folgen für die Familien-Kind Interaktionen: Familien berichteten häufiger als vor der Schließung über gemeinsame Aktivitäten mit ihren Kindern, z.B. basteln oder Zeit in der Natur verbringen. Mit Blick auf die Aktivitäten zeigten die Ergebnisse auch, dass sich Familien Anregungen zu Beschäftigungsideen und Aktivitäten von den Fachkräften wünschen.
Tatsächlich hatte der Großteil der Familien Kontakt zur Kita ihres Kindes, welcher überwiegend von den Fachkräften initiiert wurde. Nahezu alle Familien freuten sich über diesen Kontakt und waren auch gegenüber einer digitalen Kontaktaufnahme in großer Mehrheit positiv eingestellt.
Welche Wünsche äußern die Familien an die Fachkräfte?
Die Familien wünschten sich am häufigsten eine persönliche Kontaktaufnahme zu ihrem Kind/ihren Kindern oder Nachfragen nach dem Befinden ihres Kindes/ihrer Kinder, gefolgt von Tipps für Aktivitäten und Hinweisen zur Förderung ihres Kindes. Organisatorische Hinweise, z.B. zur Notbetreuung, wurden etwas seltener gewünscht.
Was sind die zentralen Ergebnisse aus der Befragung der pädagogischen Fachkräfte?
Grundsätzlich war der überwiegende Teil der Fachkräfte mit den Kitaschließungen und der Notbetreuungssituation einverstanden. Wir haben eine deutlich stärkere Relevanz digitaler Medien in der veränderten Situation feststellen können. Fachkräfte nutzen grundsätzlich mehr digitale Tools in ihrer Arbeit, besonders häufiger als vorher für Recherchezwecke, für die Zusammenarbeit mit Familien und für administrative Zwecke. Dies lässt sich auch in Bezug auf die Familienzusammenarbeit bestätigen. Die meisten Kitas hatten Kontakt zu den Familien, jedoch nur 37 Prozent tatsächlich regelmäßig. Dafür ist der Anteil an Fachkräften gestiegen, die den Kontakt zu den Familien mithilfe digitaler Medien aufrechterhalten. Interessant ist, dass Fachkräfte, die keine digitalen Medien einsetzten, annahmen, dass die Familien darauf sehr kritisch und ablehnend reagieren würden. Von den Familien wissen wir, dass diese den digitalen Kontakt sehr positiv und unterstützend fanden. Es gibt eine Reihe von Fachkräften, die sich sehr kreative Umsetzungsideen zur Aufrechterhaltung des Kontakts überlegt haben und ihren weiterhin bestehenden Bildungsauftrag sowohl digital als auch offline, oder in Kombination umgesetzt haben. Es gibt auf der anderen Seite auch sehr viele Einrichtungen, die nur einmalig oder sehr unregelmäßig und über die Leitungskräfte Kontakt zu den Familien hatten, was darauf schließt, dass es sich eher nicht um individualisierte Angebote in Bezug auf einzelne Kinder oder die Gruppe handelt, sondern eher um das Weiterleiten von Informationen zur Notbetreuung zum Beispiel. Damit wird das Potenzial digitaler Medien nicht ausgeschöpft.
Wie kann man die Kollegen und Kolleginnen in den Kitas am besten unterstützen?
Unsere Ergebnisse zeigen, dass gerade die Fachkräfte den Kontakt halten, die für sich einen weiterhin bestehenden Bildungsauftrag wahrnehmen und sich auch in der Rolle sehen, die Familien weiterhin auch ohne Präsenz zu unterstützen. In diesem professionellen Selbstverständnis müssen die Fachkräfte bestärkt werden. Dabei gilt es nicht nur einzelne Fachkräfte zu unterstützen, sondern das gesamte Team ins Boot zu holen, denn was wir auch herausgefunden haben ist, dass die Unterstützung durch das Team wichtig ist in Bezug auf die Nutzung digitaler Medien für die Familienzusammenarbeit zum Beispiel. Als eine der größten Hürden zur Umsetzung von digitalen Angeboten werden datenschutzrechtliche Bedenken von den Fachkräften genannt. Diesbezüglich müssen Fachkräfte dringend aufgeklärt und in einer rechtlich sicheren Umsetzung unterstützt werden.
Welche Hinweise möchtet Ihr im Hinblick auf eine mögliche 2. Welle geben?
Bei erneuten Entscheidungen hinsichtlich der Schließung von Kitas oder einem geringeren Betreuungsumfang sollten die hohe Belastungen der Familien – insb. erwerbstätiger Familien – berücksichtigt werden. Für Kinder aus bildungsfernen Familien oder aus Familien, die zu Hause eine andere Familiensprache als Deutsch sprechen, ist eine lange Unterbrechung des Kontakts zu den Einrichtungen besonders problematisch. Diese Familien können die fehlende Förderung zu Hause ggf. nicht so einfach zu kompensieren. Bei der Entwicklung von Möglichkeiten im Umgang mit einer erneuten Schließung sollte die Zusammenarbeit mit Familien und die Unterstützung des Kontakts zu den Familien über digitale Medien Priorität haben. Die in der ersten Schließzeit mühsam erarbeiteten Infrastrukturen sollten weiterhin genutzt und ausgebaut werden. Einrichtungen, die sich schwer taten mit der Umsetzung des Bildungsauftrags sollten in ihrer professionellen Rolle gestärkt werden und können hier von Best-Practice-Beispielen in der Zusammenarbeit mit Familien lernen. Dabei müssen Familienzusammenarbeit und Bildungsauftrag in Bezug auf das Kind zusammengedacht werden. Das heißt, wenn Kitas nicht geöffnet sein können oder nur mit verringertem Betreuungsumfang, dann müssen Angebote stärker zum Einsatz kommen, für die die Abwesenheit der Kinder irrelevant ist. Dabei gilt es eben nicht nur Informationsmaterialen weiterzuleiten, sondern auch Bildungsangebote z.B. digital zu schaffen und damit sowohl Kinder als auch ihre Familien zu unterstützen.
Hier finden Sie außerdem den Artikel (Digitale) Elternzusammenarbeit in Kindertageseinrichtungen während der Corona-Pandemie. Digitalisierungsschub oder verpasste Chance? von Dr. Franziska Cohen und, Elisa Oppermann und Prof. Dr. Yvonne Anders.
Alle einzelnen Ergebnisse können Sie im offiziellen Studien-Bericht nachlesen.
Hier finden Sie außerdem noch weitere Blogbeiträge zur Kindertagesbetreuung während der Corona-Pandemie.
Gastautorin
© C. Anders
Dr. Franziska Cohen ist Erziehungswissenschaftlerin mit dem Schwerpunkt Frühpädagogik. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Frühkindliche Bildung und Erziehung der Otto-Friedrich-Universität Bamberg und leitet gemeinsam mit Dr. Elisa Oppermann und Prof. Dr. Yvonne Anders die Corona Familien- und Kitastudie.