Alltagsdiskriminierung – Stimmen, Beispiele und Fragen aus der Praxis
Anlässlich des Internationalen Tages der Kinderrechte möchten wir auf das Recht auf Nicht-Diskriminierung aufmerksam machen. Der folgende Text enthält Ausschnitte aus der FRÖBELcast-Folge „Alltagsdiskriminierung“ mit Kristin Beitz, Stefanie-Lahya Aukonkgo und pädagogischen Fachkräften aus FRÖBEL-Einrichtungen.
Diskriminierung: Für die einen ist es ein Begriff ohne persönliche Erfahrungen, für andere hingegen eine Alltagserfahrung. Diskriminierende Äußerungen sind schmerzhaft, sie grenzen aus und im schlimmsten Fall schüren sie heftige Gegenreaktionen. Ein demokratisches Miteinander erfordert Respekt und Toleranz und bietet keinen Platz für Diskriminierung. Umso wichtiger, dass bereits in der frühen Kindheit demokratische Werte vermittelt werden und mit Kindern darüber gesprochen wird, dass Toleranz und Respekt wesentliche Eckpfeiler davon sind – zum Wohle aller.
Beispiel #1: Fehlende Identifikationsmöglichkeiten in der Einrichtung
Multiplikator*in für Inklusion & Diversität: “In einem Fall gab es ein Mädchen, die Mutter ist alleinerziehend und der Vater wohnt nicht hier in Köln. Dadurch hatte das Mädchen nicht so viele Identifikationsmöglichkeiten, da ihr Vater dunkelhäutig ist und sie selbst auch eine dunklere Hautfarbe hat und krauseres, also lockigeres Haar.
[…] Und irgendwann wurde das zu einem Problem. Sie sah die anderen Mädchen, sah die glatten Haare, hat sich damit irgendwie unwohl gefühlt. Wir haben uns dann [stellvertretend für das Kind] im Team gefragt: ‘Komme ich in dieser Kita vor? Finde ich mich hier irgendwie wieder?’ Und dann haben wir mal die Bücher kontrolliert, haben neue bestellt und haben versucht ihr zu zeigen: Es gibt sehr viele positive Beispiele von äußeren Merkmalen – denn es geht ja erstmal nur um äußere Dinge – und das half ihr total. Meine Freundin kommt aus dem Kongo, die haben wir dann auch eingeladen und für das Mädchen war das total schön, dass sie gemerkt hat: ‘Oh, ich bin nicht irgendwie ein ‚Sonderfall‘, sondern um mich herum gibt es ganz viele Menschen, die auch so aussehen.“
Stefanie-Lahya Aukongo: “Ich bin unglaublich berührt von diesem Mädchen, was die eigenen Haare wieder mehr schätzen lernen durfte – oder musste – und wie das gelöst wurde. Das fand ich sehr schön. Ich glaube, dass mir das auch geholfen hätte […] als Kind. Diese komplizierten Haare zu haben und nie in einen Heuhaufen springen zu dürfen, weil ich wusste danach werde ich mindestens zwei Stunden irgendwo sitzen müssen, um meine Haare wieder zu erleichtern. Ich fand es sehr schön zu hören, dass das Kind sich auch wieder auf die inneren Werte stützen konnte und auch das finde ich sehr berührend.”
Beispiel #2: Diskriminierung aufgrund langer Haare
Multiplikator*in für Inklusion & Diversität: „Wir haben ein Kind in der Einrichtung, dass als Junge wahrgenommen wird und dieses Kind lässt sich die Haare schon lange wachsen. Er hat inzwischen schon einen sehr langen Zopf und die anderen Kinder möchten diese Haare oft anfassen – da weiß ich zwischendurch auch nicht, wie ich auf die einzelnen Situationen reagieren soll, wenn ich nicht wirklich einschätzen kann, ob es von den anderen Kinder eine Neugier ist, die ich gerne wertschätzen möchte, ich aber natürlich auch das andere Kind in dem Moment schützen möchte.
Ganz extrem war diese Situation vor Kurzem beim Mittagessen. Beim Mittagessen saß der Junge wie immer am Tisch, hatte seine Haare nach hinten gebunden und die anderen Kinder fingen an diese Haare zu kommentieren. In Dauerschleife hieß es ‚Du hast lange Haare, du bist ein Mädchen‘. Dadurch, dass es kein körperlicher Angriff war, sondern wirklich das rein sprachliche, ist es lange nicht aufgefallen. Es hat zu lange gedauert bis jemand hören konnte, was da gerade passiert. Ich würde gern thematisieren wie wir möglichst früh ansetzen müssen, um solche Situationen zu vermeiden.“
Stefanie-Lahya Aukongo: „Also es braucht immer wieder Gespräche und zwar frühe Gespräche, dass es total in Ordnung ist, dass Kinder lange Haare haben, kurze Haare haben, dass Jungen, die als Jungen sozialisiert sind auch lange Haare haben dürfen und dass es Menschen gibt, die ganz viele Locken, […] rote […], blonde Haare haben und dass es total in Ordnung ist, dass wir alle unterschiedliche Haarfrisuren haben und es auch nicht geschlechterspezifisch sein muss. Und, dass die Kinder […] früh lernen, dass es völlig in Ordnung ist, dass alle verschiedenartig sind und das braucht es von Anfang an.
Wenn dieses Kind schon von Anfang an mit langen Haaren in die Gruppe gekommen ist, dann muss das irgendwie von Anfang an ein Thema werden, weil wir ahnen, dass es darauf hinlaufen kann, weil es etwas ist, was unsere Gesellschaft prägt: Uns wird eingebläut und eingetrichtert, dass männlich sozialisierte Menschen kurze Haare haben und weiblich sozialisierte Menschen lange Haare haben und wenn es anders herum ist, dann ist es irgendwie was Neues, […] dann wird darüber geredet […], dann werden Fragen gestellt. Und ich finde, dass da schon früh hätte angesetzt werden müssen. Die Frage ist jetzt aber, wenn es schon soweit ist […], dann braucht es immer wieder Gesprächsstoff dazu. Vielleicht gibt es ja sogar Geschichten, in denen ein männlich sozialisiertes Kind auch lange Haare haben kann – vielleicht können wir eine Geschichte schreiben – warum Dornröschen da oben ein Junge ist und lange Haare braucht – oder vielleicht […] umschreiben.
Das finde ich super wichtig, dass sowas im Kindergartenalltag auch geübt wird, denn so prägt sich das ein und da braucht es glaube ich wirklich Schulungen. Und immer wieder Gesprächsstoff für die Kinder, aber auch für alle Beteiligten und vor allen Dingen sollte der Fokus weggehen von dem Kind, das jetzt alles erklären muss oder ins Zentrum gestellt wird […]. Sondern es geht darum, wie kann das Kind geschützt werden und dass es völlig in Ordnung ist und […] Teil von Normalität ist, eben auch lange Haare haben zu können – das glaube ich, dass das die Kinder lernen dürfen und immer wieder praktizieren müssen. Also, dass es ein Praktizieren ist so von wegen ‚Hey, eine Person hat kleine Hände und die andere Person hat große Hände […] – na und?‘ und darüber sozusagen eine Norm herzustellen.“
Tipp
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Der Podcast wurde im Rahmen des Bundesprogramms AUF!leben aufgenommen. AUF!leben – Zukunft ist jetzt. ist ein Programm der Deutschen Kinder- und Jugendstiftung, gefördert vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend. Das Programm ist Teil des Aktionsprogramms Aufholen nach Corona der Bundesregierung.
Unsere Gästin
Lahya ist freiberufliche Kunst- und Kreativitätsschaffende und arbeitet neben ihrer künstlerisch-vielschichtigen Arbeit als Poetin, Speakerin, Referentin, Sängerin, Workshop-leitende und noch vieles mehr, hier und da und dort […]. Lahyas Fokus: machtkritische und anti-diskriminierende Lernräume schaffen, in denen Lahya Kunst, Machtkritik und Gefühl miteinander vermischt. Mehr über Lahya‘s Person und Arbeit erfahren Sie auf ihrer Homepage.