Bildungsmoment „Essen und Trinken in der Kita“ – Chancen und Möglichkeiten
Darum ist es so wichtig, diesen Bildungsbereich bewusst zu gestalten.
Ein Beitrag von Stephanie Fromme.
Ernährung ist Teil des Bildungsauftrages „Gesundheit“. Essen und Trinken sind menschliche Grundbedürfnisse. Sie sind selbstverständliche Handlungen im Alltag und damit Teil grundlegender Alltags-/Lebenskompetenz und müssen doch erlernt werden. Zwar hat auch die Nahrungsaufnahme, -verstoffwechselung und Geschmackswahrnehmung eine genetische Grundlage, doch sagt uns der Instinkt nicht, was, wann, wie, mit wem und warum gegessen wird. Diese Esskultur erlernen wir vom ersten Lebenstag an in Abhängigkeit von unserer Umwelt. Erste Prägungen beginnen schon im Mutterleib. Essen und Trinken sind ein wichtiger Teil der frühkindlichen Sozialisation. Was wir in dieser Zeit lernen, beeinflusst unser Essverhalten zum Teil ein Leben lang.
Die Familie ist die erste und wichtigste Sozialisationsinstanz. Doch mit der zunehmenden Ganztagsbetreuung in Kindertagesstätten ist auch deren Bedeutung für die Ernährung gewachsen. An fünf Wochentagen nehmen Kinder bis zu 15 Mahlzeiten – und damit die Mehrheit – in der Einrichtung ein. Kindertagesstätten müssen entsprechend Verantwortung für die Versorgung übernehmen. Sie haben aber auch die Chance, durch die tägliche Arbeit mit den Kindern über Jahre, Essverhalten ergänzend zur Elternschaft gesundheitsförderlich zu prägen. Ressourcen, die hier investiert werden, erreichen – im Sinne einer Verhältnisprävention – alle Kinder, die in die Einrichtung gehen, unabhängig von den familialen Voraussetzungen.
(Langfristiges) Ziel in der heutigen Ernährungsbildung ist,
selbstbestimmt, verantwortungsbewusst und genussvoll essen und trinken zu
lernen.
Was brauchen junge Kinder, um selbstbestimmt essen und trinken zu können? Was
heißt es entsprechend ihrem Entwicklungsstand, verantwortungsvoll in diesem
Bereich zu handeln? Wie können sie in ihrer Genussfähigkeit gestärkt werden?
Die Auseinandersetzung mit diesen Leitfragen zeigt schnell die Komplexität des
Themas „Essen und Trinken“ und führt in die Tiefe pädagogischer Arbeit.
In der Kindertagesstätte setzt die Ernährungsbildung in drei grundlegenden Handlungsfeldern an: der Verpflegung, der Esssituation und Mahlzeitenbegleitung sowie der praktischen Ernährungsbildung. Jeder Bereich ist davon geleitet, das Wünschenswerte im Essen und Trinken mit vertrauensvollen Beziehungen und guten Erfahrungen zu verknüpfen.
Die Verpflegung
Was in der Kindertagesstätte an Speisen und Getränken in welcher Qualität und Menge und zu welcher Zeit auf den Tisch kommt, liegt in der Verantwortung der Erwachsenen (Träger, Kitaleitung, hauswirtschaftliches Personal/Caterer). Ist dies entsprechend den offiziellen Ernährungsempfehlungen (siehe DGE e.V. und UGB e.V.) gesundheitsförderlich und sensorisch gut gestaltet, werden Kinder allein durch das tägliche Erleben des Angebotes über Jahre lernen, was zu einem guttuenden Essen gehört. Durch wiederholte Geschmackserfahrungen lernen sie Getränke und Speisen mögen – mal mehr, mal weniger ausgewählt. So wird es z. B. zur Gewohnheit, zum Durstlöschen nach Wasser zu greifen und beim Frühstück frische Obst- oder Gemüsestücke zu essen – einfach, weil genau das täglich angeboten wird. Werden die Gerichte bevorzugt mit saisonalem Gemüse und Obst aus der Region (Deutschland) zubereitet, erleben die Kinder bei Tisch quasi nebenbei den Jahreszeitenwechsel und gelebte Nachhaltigkeit.
© FRÖBEL e.V. Foto: Bettina Straub
Die Esssituation und Mahlzeitenbegleitung
Struktur und Ablauf jeder Esssituation sollten sicherstellen, dass ein Kind seinem Entwicklungsstand entsprechend selbsttätig, entspannt und genussvoll essen und trinken kann. Kinder sollten darin bestärkt werden, ihrem Körpergefühl zu vertrauen bzw. ein positives Körpergefühl aufzubauen. Jedes Kind am Kitatisch entscheidet selbst, was es vom Speiseangebot auswählt, ob und wieviel es davon isst. Das schließt auch den kleinsten „pädagogischen Happen“ ein. Das beste Essen schmeckt nicht, wenn ich mich nicht wohlfühle. Kinder brauchen Esssituationen in guter Lernatmosphäre frei von Druck, um sich all dem zu öffnen, was Speisen und Tischgemeinschaft bieten.
Mahl-Zeit ist voller Lernfelder
und Möglichkeiten zur Partizipation. Sie ist immer bedeutende pädagogische Zeit.
Sie ist Beziehungszeit zu den Speisen, zu sich selbst, zu denen, mit denen
gegessen wird und zu denen, die das Essen zubereitet haben – und auch die
Familie „sitzt in der Kita mit am Tisch“. Die Esssituation bietet z. B. vielfältige
Sprachanlässe, motorische Übung und Training psycho-sozialer Kompetenzen. Sie ist
verknüpft mit Emotionen und steckt voller gelebter Anschauungen und Werte – ob
bewusst oder unbewusst! Wie entscheidend das Lernen am Modell, das Vorleben
gerade in diesem Handlungsfeld ist, zeigt das in Kitas häufig erlebte Beispiel
der „vollen oder leeren Schüssel“: Das gleiche Essen wird nicht angerührt oder
aufgegessen, abhängig davon, welche pädagogische Fachkraft das Essen begleitet
hat.
Um zu einer guten Mahlzeit zu kommen, ist deswegen gerade in diesem
Handlungsfeld neben einer möglichst wertfreien IST-Analyse von Struktur und
Abläufen eine Reflexion im Team zu persönlichen Anschauungen und Werten rund um
Essen und Trinken sowie der eigenen Essbiografie wichtig.
Grundwissen über Geschmacksentwicklung und im Besonderen über die Entwicklung des frühkindlichen Essverhaltens verhilft zu mehr Sicherheit und Gelassenheit im Umgang mit individuellen Esssituationen. Es erleichtert, im Team zu einem Konsens in der Mahlzeitenbegleitung in Form einer professionellen Responsivität zu kommen, die jedem Kind ermöglicht, vor allem Lust und Freude bei Tisch zu empfinden.
Angebote zur praktischen Ernährungsbildung
Sich eines Tages selbstbestimmt
und verantwortungsbewusst versorgen zu können, bedarf mehr als einer gut
gestalteten Esssituation. Praktische Ernährungsbildung jenseits des
Mahlzeiten-Tisches bietet Lebensmittel gezielt und strukturiert als
Lernmaterial an. Sie vermittelt Kindern Stück für Stück Herkunft, Vielfalt und
Umgang mit Lebensmitteln. Sie führt sie in alltagsbezogenes Kochen ein mit
Grundkenntnissen im Bereich Hygiene und Sicherheit (z.B. Umgang mit Messern,
sicheres Schneiden), bietet Raum für gezielte Sinneserfahrungen und kleine
Experimente und lässt Kinder Esskultur erleben. Dabei setzen die praktischen
Angebote auf das Bedürfnis der Kinder nach Autonomie und Exploration. Sie
rücken Freude am Tun und Genuss in den Mittelpunkt.
Selbst tun, mit allen Sinnen gefordert zu sein und dabei herauszufinden, „wie
die Welt funktioniert“, ist auch in der Bildung eines gesundheitsfördernden
Essverhaltens der Königsweg. So gelingt es deutlich leichter, positiv belegte
Geschmackserfahrungen zu machen und sich an Neues heranzutasten.
Praktische Ernährungsbildung
beginnt im Rahmen der täglichen Mahlzeiten mit selbstständigem Piksen, Löffeln,
Einschenken, Brot schmieren, Geschirr abräumen und Tisch abwischen. Erstes
Rühren, z.B. eines Quarks, und Schneiden z. B. von Obst- und Gemüsestücken für
das Gruppenfrühstück können in der Regel gut in die alltäglichen Abläufe
integriert werden. Kontinuierliche Angebote außerhalb der Mahlzeiten eröffnen Kindern
jedoch, Lebensmittel individueller, umfangreicher und spielerischer „vom Acker
bis in den Mund“ zu erfahren.
Aktionen wie „Brötchen backen“ oder „einen Dipp zubereiten“ bleiben dabei nicht
isoliert stehen. Sie sollten alters- und entwicklungsgerecht sich über die
„Kindergartenjahre“ vom Einfachen zum Komplexeren aufbauen und über die Zeit
unterschiedliche grundlegende Arbeitstechniken (Waschen, Putzen, Schneiden,
Raspeln, Rühren, Kneten…) sowie Lebensmittelgruppen (vgl. Ernährungspyramide
als roter Faden) thematisieren. Exkursionen z. B: in den Supermarkt, auf eine
Streuobstwiese, zum Imker und Bäcker erweitern den Horizont und komplettieren
das Verständnis für unser Essen.
So unterstützt praktische
Ernährungsbildung Kinder, Stück für Stück selbständiger zu werden und sich den
Bereich Essen und Trinken vertraut zu machen.
Solch pädagogisches Kochen bietet mehr als Gesundheitsbildung (vgl. oben). Es
kann leicht mit anderen Bildungsbereichen und Förderprojekten (Sprachförderung,
motorische Entwicklung, naturwissenschaftliche/mathematische Bildung) verknüpft
bzw. als besondere Methode eingesetzt werden.
Wir brauchen prinzipiell keine zusätzlichen Ressourcen für die frühkindliche Ernährungsbildung. Wir brauchen die eigene Begeisterung für Kochen und Essen, die Lust, uns auf das Thema einzulassen und die pädagogische Kompetenz, die die Ernährungsbildung als vielfältige, ganzheitliche frühkindliche Bildung erkennt, plant, reflektiert und kommuniziert. Ob wöchentlich, monatlich oder erst einmal vierteljährlich im Jahreszeitenzyklus – entscheidend ist anzufangen.
Empfehlenswertes zum Weiterlesen:
DGE-Qualitätsstandard zur Verpflegung in Tageseinrichtungen für Kinder
FIT KID – Die Gesund-Essen-Aktion für Kitas!
Vereine für unabhängige Gesundheitsberatung: Ganzheitliche Vollwert-Ernährung
Ich kann kochen! Deutschland’s größte Inititative für praktische Ernährungsbildung von Kita- und Grundschulkindern. Mit kostenfreiem Fortbildungsangebot
Bostelmann, A.; Fink, M.2014): Mahlzeiten in der Krippe. Lernchancen erkennen und Essensituationen einfühlsam begleiten. Berlin: Bananenblau.
Gätjen, E. (2012): Essensspaß für kleine Kinder. Stuttgart: TRIAS Verlag.
Gätjen, E. (2014): Lottas
Lieblingsessen. Stuttgart: TRIAS Verlag.
Beide Bücher bieten neben einfachen, erprobten Rezepten Fachwissen rund um
den Essalltag und die Praxis mit Kindern aus Familiensicht, die auch für den
Kita-Alltag ein Gewinn ist.
Heinis, M. (2019): Kinder
im sozialpädagogischen Alltag versorgen. Hamburg: Verlag Handwerk und
Technik GmbH.
Das Buch vereint gekonnt in kurzer Übersicht alles, was zum Thema Ernährung
und Ernährungsbildung wichtig ist.
Höhn, K. (2017): praxis kompakt: Essen bildet! Mahlzeiten als Lernsetting entdecken. Sonderheft von kindergarten heute – Das Fachmagazin für Frühpädagogik. Freiburg im Breisgau: Herder.
Methfessel, B. u.a.(2016): Essen und Ernährungsbildung in der KiTa. Entwicklung – Versorgung – Bildung. Stuttgart: Kohlhammer.
Das grundlegende, ausführliche Fachbuch zum Thema.
Gastautorin:
© Sarah Wiener Stiftung l photothek