Offen sein und Vorurteile ablegen– Digitale Medien im Hort
In ihrem Buch „Dreißig Minuten, dann ist aber Schluss!“ ermutigt Patricia Cammarata Familien das Thema digitale Medien nicht zu verteufeln, sondern gemeinsam anzugehen, sich damit auseinanderzusetzen und die vielen Möglichkeiten zu erkennen. Am Ende des 1. Kapitels (S.42) schreibt sie:
„Es gibt zwei Hebel, um das Thema `Kinder und digitale Medien`in den Griff zu bekommen: 1. Bindung und Beziehungspflege, 2. Aufklärung bzw. Informiertheit.“
Es finden sich dagegen kaum Verbote oder empfohlene Zeitspannen. In unserem Interview gibt sie Anregungen und Tipps, wie sich pädagogische Fachkräfte in Horten gemeinsam mit Kindern und Familien digitalen Medien nähern können.
Ihr Buch richtet sich in erster Linie an Familien. Einen (Groß-)Teil Ihrer Zeit verbringen Kinder aber auch nach der Schule im Hort. Wie können die Inhalte Ihres Buches auch auf den Umgang mit Medien in diesen Bildungseinrichtungen übertragen werden und für pädagogische Fachkräfte nützlich sein?
Indem man es als Anlass nimmt Medienerziehung als Beziehungsthema zu sehen. Gerade im Grundschulalter sind Kinder sehr auskunftsfreudig und teilen gerne, was sie begeistert. Wieso nicht mal ein Nachmittagsprogramm zum Thema „Minecraft“ gestalten beispielsweise. Wie kann man mit Lego Minecraft bauen? Oder man wählt ein Oberthema aus und lässt die Kinder dazu Skizzen zeichnen, die sie später – auch erst zuhause in Minecraft umsetzen können. Kinder, die Minecraft kennen, können Kindern, die Minecraft nicht kennen, berichten, was das ist und warum sie es so gerne spielen.
Die Erzieher*innen müssen dafür gar keine Expert*innen für das betreffende Thema sein. Sie werden Lernbegleiter*innen und überlassen Kindern den Expertenstatus. Auf Infoseiten wie SCHAU HIN! oder auch beim Spieleratgeber NRW finden sie grundlegende Informationen, die ihnen einen Einblick in die jeweilige Thematik liefern und auch helfen sich einen Überblick über mögliche Herausforderungen zu verschaffen, die sie dann mit den Kindern besprechen können.
Was raten Sie pädagogischen Fachkräften im Hort? Wie können sich Fachkräfte der Lebensrealität von Kindern nähern und echtes Interesse zeigen, besonders wenn sie selbst zu dieser Welt nie Kontakt hatten?
Offen sein und Vorurteile ablegen. D.h. Fragen stellen und zuhören und keine wertenden Kommentare abgeben. Lieber hinterfragen: „Was gefällt dir besonders daran?“, „Hast du noch andere Vorbilder?“, „Wie hast du das kennengelernt?“
Welche Möglichkeiten und Chancen sehen Sie im Hort im Einsatz digitale Medien?
Digitale Medien bieten ein großes Potenzial kreativ zu werden und sehr oft kann man sich Projekte überlegen, die das Analoge mit dem Digitalen verbinden.
Man sucht sich beispielsweise in der Bildsuche „Focaccia Kunst“ als Inspirationsquelle und dann geht es los. Zuerst finden die Kinder online ein einfaches Rezept für den Teig. Dann wird gemeinsam gekocht. Eine Gruppe macht den Teig, die andere fotografiert die Zutaten und Zwischenschritte. Dann wird das Gemüse geschnippelt und es werden die „Bilder“ gemacht. Die Resultate können abgemalt und im Abholbereich ausgestellt werden, so dass die Eltern sie bewundern können. Aus den Fotos macht man mit einer einfachen App ein Stop Motion Video, das man sich gemeinsam anschauen kann und besprechen kann: „Was war gut?“ – „Was könnte man beim nächsten Mal verbessern.“
Beim nächsten Sommerfest wird alles wiederholt und das Buffet ist noch prächtiger als sonst. Wenn es keinen Ofen gibt, dann macht man dasselbe eben mit „Obstmandalas“ oder unter dem Motto „Kunst als Brotbelag“.
Und das sind die Chancen: digitale Medien übergreifend denken und aktiv nutzen, Kindern Inspiration geben, was jenseits des reinen Konsums noch möglich ist.
Was können Fachkräfte gegen Cyber-Mobbing tun? Wie können Kindern in diesem Bereich gestärkt werden?
Bei Cyber-Mobbing ist das A und O die Prävention. D.h. es sollte lange bevor Klassenchats gegründet werden, über Mobbing gesprochen werden.
Was ist Mobbing? Wie wirkt Mobbing auf Menschen? Was ändert sich durch den digitalen Teil? Was kann dagegen unternommen werden?
Zur Prävention gehört auch, über Rollen und Wirkdynamiken beim Mobbing zu sprechen. Den meisten ist bekannt, dass es in einem Mobbing-Fall Opfer und Täter*in gibt. Oft ist aber nicht klar, dass es innerhalb des Systems noch weitere Rollen gibt:
- Assistent*innen (die den/die Täter*in unterstützen)
- Claqueure (beteiligen sich nicht aktiv, sind aber billigendes und verstärkendes Publikum)
- Verteidiger*innen und potenzielle Verteidiger*innen (stellen sich bestenfalls an die Seite des Opfers, um es zu unterstützen)
- Unbeteiligte (würden sich der Situation gerne entziehen und reden sich ein, dass die Situation sie nichts angeht)
Kinder können je nach Situation durchaus unterschiedliche Rollen einnehmen und auch zwischen den Rollen wechseln. Hat man das erst mal verstanden, ist auch klar, wie pädagogisches Personal (präventiv) aktiv werden kann: Sie müssen es schaffen, ihre Kinder zu Verteidiger*innen zu machen und vorher einen Werterahmen diskutieren, an dem sich die Kinder orientieren können.
Vielfach wissen die Kinder, dass hier Dinge passieren, die nicht in Ordnung und mindestens moralisch fragwürdig sind. Sie befürchten aber, selbst Opfer solcher Attacken zu werden, und halten sich deswegen zurück. Es ist deswegen wichtig, dass die Kinder wissen, dass sie z.B. in den Erzieher*innen immer Ansprechpartner*innen haben.
Zur Aufklärung gehört auch, dass Angebote von Hilfsstellen wie z. B. Juuuport.de oder das Kinder und Jugendtelefon (und Chat) die Nummer gegen Kummer (Tel 116111) bekannt sind. Diese Nummern sollten Kinder so wie die der Polizei und Feuerwehr auswendig kennen.
Was können pädagogische Fachkräfte im Hort den Familien für Wissen mitgeben? Was würden Sie sich von einem Hort wünschen?
Wenn mit den Kindern gearbeitet wird, wird durch die aufgeklärten Kinder automatisch Wissen an die Familien weitergegeben. Als Mutter würde ich mich freuen, wenn es einen Überblick gibt, welche Projekte stattfinden und welche Themen besprochen werden. Vielleicht eine Art Themenzettel, die wiederum als Gesprächsgrundlage für den Dialog mit dem eigenen Kind zuhause dienen kann.
Gastautorin
Neben ihrem kürzlich erschienen Buch „Dreißig Minuten, dann ist aber Schluss!“ schreibt Patricia Cammarata außerdem auf ihrem Blog „Das Nuf Advanced“ und für das Portal „Schau hin“ über Kinder und digitale Medien. In ihrem Podcast #nur30min unterhält sie sich regelmäßig mit Marcus Richter über Kinder und digitale Medien und Wissenswertes in Sachen Medienerziehung.