Alle machen mit – Demokratiebildung in Kindertageseinrichtungen
Die Kinder, die heute unsere Krippen, Kindergärten und Horte besuchen, sind diejenigen, die in Zukunft unsere Gesellschaft gestalten. Wenn wir möchten, dass sich diese Gesellschaft durch Freiheit, ein friedliches Miteinander, Gerechtigkeit sowie durch Möglichkeiten zu echter Teilhabe und Mitbestimmung auszeichnet, dann müssen Kinder schon ab der frühen Kindheit demokratische Werte kennenlernen und verinnerlichen. Sie müssen sehen und erleben, wie ein demokratisches Miteinander funktioniert und was alles dazugehört.
Demokratie – nicht nur eine Regierungsform
Demokratie bedeutet im klassischen Sinne, dass sich das Volk durch freie Wahlen an der staatlichen Machtausübung beteiligen kann. Wenn wir aber von „einem friedlichen Miteinander“ oder „demokratischen Werten“ sprechen, wird deutlich, dass Demokratie mehr als nur ein politisches Regierungssystem ist. Wenn Demokratie von jedem und jeder Einzelnen von uns gelebt werden soll, dann müssen wir anfangen diese Regierungsform auch als Lebensform anzusehen. Das heißt den Fokus nicht nur auf politische Bildung zu legen, sondern sich darüber klar zu werden, welche Werte, welche Haltung und welche Handlungsprinzipien für das Funktionieren einer demokratischen Gesellschaft wichtig sind. Dazu gehören auch Partizipation, Kinderrechte, Toleranz, ein konstruktiver Umgang mit Streit und Meinungsverschiedenheiten und Nachhaltigkeit. Doch was bedeutet das für die Demokratiebildung in Kindertagesstätten?
Partizipation
In Kindertageseinrichtungen können Kinder Demokratie besonders gut erleben, wenn sie in die Entscheidungen und Geschehnisse des Alltags direkt mit einbezogen werden. Die Art und Weise, wie Kinder am Kindergartenalltag beteiligt werden, sollte sowohl im Team als auch mit den Kindern regelmäßig gemeinsam besprochen und festgehalten werden. Es muss festgelegt werden, was Kinder AUF JEDEN FALL und was sie AUF KEINEN FALL (mit)entscheiden sollen und warum. Dabei kann zwischen Selbst- und Mitbestimmung unterschieden werden: Welche Entscheidungen können die Kinder selbstbestimmt treffen und bei welchen Fragen dürfen sie mitbestimmen?
Neben speziellen Beteiligungsformaten, wie z. B. einem Kinderparlament, einer Leitungssprechstunde, der gemeinsamen Speiseplangestaltung oder einem von den Kindern gestalteter Morgenkreis, spielt vor allem der alltägliche Umgang mit den Kindern eine große Rolle. In den vielen „kleinen“ Momenten im Tagesablauf zeigt sich, wie die pädagogische Fachkraft jedes einzelne Kind in das Geschehen mit einbezieht, wie sie mit den Kindern spricht, ob sie ihnen wirklich auf Augenhöhe begegnet und sie als ernstzunehmende Akteure und Akteurinnen in der Kindertageseinrichtung wertschätzt. Die Beziehungsgestaltung zwischen der pädagogischen Fachkraft und dem Kind ist somit die Grundlage für echte Partizipation. Eine positive Beziehung, die auf Anerkennung und Wertschätzung beruht, lässt sich in allen pädagogischen Interaktionen zwischen der Fachkraft und den Kindern erkennen.
Aber Partizipation sollte sich nicht nur auf die Arbeit mit den Kindern beschränken, sondern ganzheitlich in der Kita umgesetzt werden – auch im Team und mit den Familien. Den Umgang, den Erwachsene untereinander pflegen, nehmen Kinder ebenso wahr und sie orientieren sich daran.
Oft wird Demokratiebildung gerade im Bereich der frühen Kindheit mit Partizipation gleichgesetzt. Demokratie ist jedoch viel mehr als Partizipation, auch wenn das Recht auf Mitbestimmung eine zentrale Rolle in der demokratischen Bildung der Kinder spielt.
Kinderrechte
Eine Demokratie ohne das Zugeständnis und die Wahrung von Menschenrechten ist unvorstellbar. Sie bilden das Fundament einer demokratischen Gesellschaft und können gleichzeitig auch nur innerhalb eines demokratischen Rechts- und Wertesystems umgesetzt werden. „Menschenrechte und Demokratie gehören untrennbar zusammen und sind insofern zwei Seiten einer Medaille“ (Maywald, S. 35).
Dies gilt nicht nur für Erwachsene, sondern ebenso für Kinder. Sie sind von Geburt an eigene Persönlichkeiten mit eigenen Rechten. Die Würde des Kindes zu wahren und seine Rechte umzusetzen, ist eine zentrale Aufgabe für alle pädagogisch Tätigen. Deshalb sind die Kinderrechte das Fundament für die pädagogische Arbeit in FRÖBEL-Einrichtungen und sie nehmen einen großen Teil im Leitbild des Trägers ein. Damit Kinder erfahren, was es heißt eigene Rechte zu haben und dass diese sowohl für sie selbst als auch für alle anderen Menschen gelten, müssen sie diese Rechte kennen. Sie müssen ihnen kindgerecht erklärt werden und in der Einrichtung sowie im täglichen pädagogischen Handeln der pädagogischen Fachkräfte sichtbar gemacht werden, damit sie sich auf sie berufen können und sie ihnen Orientierung geben.
Toleranz
Unsere heutige demokratische Gesellschaft ist geprägt von Vielfalt. Das zeigt sich bereits in den Kindertageseinrichtungen: hier verbringen Kinder verschiedenster Herkunft mit ganz unterschiedlichen Eigenschaften einen großen Teil des Tages miteinander. Auch die Teams sind heterogen, ebenso wie die Familien der Kinder. Ein harmonisches Miteinander kann nur funktionieren, wenn sowohl die Gemeinsamkeiten als auch die Besonderheiten aller Beteiligten im pädagogischen Alltag ihre Beachtung finden und toleriert werden. Deshalb besteht eine Aufgabe von pädagogischen Fachkräften darin, die Kinder so früh wie möglich für die Verschiedenheit von Menschen zu sensibilisieren.Vielfalt kann den Kindern in Projekten oder Spielen nähergebracht werden, zeigt sich aber auch in der Einrichtung selbst. Durch eine Vielfalt an Materialien und Büchern wird Diversität sichtbar gemacht. Gute Tipps zu mehrsprachigen Büchern finden Sie in unserem Beitrag „Sprachenvielfalt in Kinderbüchern“.
Konstruktiv streiten
So harmonisch wie die Worte „Toleranz“ und „Akzeptanz von Vielfalt“ auch klingen, Demokratie kommt selten ohne Meinungsverschiedenheiten und Konflikte aus. Streit und Konflikte gehören genauso zu einer demokratischen Gemeinschaft wie Respekt und Toleranz. Demokratie „… ist dazu angelegt, ohne Gewalt bei unterschiedlichen und gegenläufigen Interessen zu Entscheidungen zu kommen, die gemeinschaftsfördernd und für alle verbindlich sind“ (Schneider/Jacobi-Kirst 2019, S. 9). Und genau das gilt auch für das tägliche Miteinander in einer Kindertageseinrichtung. Es geht nicht darum, dass alle immer einer Meinung sein müssen. Wichtig ist, wie wir mit den unterschiedlichen Meinungen und damit verbundenen Interessen umgehen. Wenn wir lernen, konstruktiv mit Konflikten umzugehen, können sie unser Sozialverhalten positiv beeinflussen. Konfliktkompetenz muss sich erst entwickeln und entsprechend gefördert werden, ähnlich wie die meisten anderen Kompetenzen. Eine der wichtigsten Fähigkeiten beim konstruktiven Streiten ist seine Meinung auf eine angemessene Art und Weise äußern und argumentieren zu können, ohne andere Menschen zu verletzen. Freie Meinungsäußerung heißt eben nicht, dass man das Recht hat jemanden zu unterdrücken, herabzusetzen oder gar zu diskriminieren. Das sollte so früh wie möglich mit Kindern besprochen werden. Eine tolle Lösung, um Streit und Konflikte konstruktiv anzugehen, hat der FRÖBEL-Kindergarten Pfiffikus mit dem Streitschlichterteppich gefunden. Mit Hilfe dieses Teppichs können die Kinder nun ihre Meinungsverschiedenheiten untereinander eigenständig klären – ohne ein Eingreifen von Erwachsenen.
Frühe politische Bildung
Kinder nehmen die Welt um sich herum wahr und werden von politischen, gesellschaftlichen und familiären Entscheidungen mit beeinflusst. Deshalb lohnt es sich, auch schon mit kleineren Kindern über Politik zu sprechen. Man kann Kinder zum Beispiel fragen, ob sie wissen, wer in unserem Land „der Chef“ oder „die Chefin“ ist und die Entscheidungen trifft. Aus solchen offenen Fragen können sich spannende Gespräche entwickeln. Mit einfachen Mitteln wie Bildkarten, Büchern oder Erklärvideos kann Kindern das demokratische System nähergebracht werden. Gerade Videos sollten allerdings mit Bedacht ausgesucht und den Kindern nicht unreflektiert gezeigt werden. Sprechen Sie hinterher mit den Kindern über das Gesehene. Gehen Sie auch darauf ein, dass es in anderen Ländern andere politische Systeme geben kann und was das heißt, so können Sie auch das kritische Denken der Kinder fördern. Eine freie und kritische Meinungsbildung ist insbesondere in einer Demokratie von zentraler Bedeutung. Nur wer ein eigenes Meinungsbild hat, kann eine Stimme abgeben und so selbst Einfluss auf das politische Geschehen nehmen. Manchmal reicht es auch, sich selbst nur Ideen aus solchen Kurzclips zu holen und dann eigene Materialien zu erstellen oder auszusuchen. Auch durch die Vernetzung im Sozialraum mit Politiker*innen aus dem Wahlkreis der Kita oder durch Ausflüge zu politischen Orten (wie zum Beispiel Wahlkreisbüros oder Rathäuser) können Kinder an Politik herangeführt werden. Bei all diesen Angeboten und Aktivitäten ist es besonders wichtig, das Alter beziehungsweise den Entwicklungsstand der Kinder zu berücksichtigen. Politik ist ein komplexes Thema und Kinder brauchen einen ausreichenden kognitiven und sprachlichen Entwicklungsstand, um sich eingehend damit auseinander zu setzen.
Nachhaltigkeit
In einer Demokratie geht es immer auch darum, Verantwortung zu übernehmen – sowohl für sich selbst als auch für andere. Dazu gehört auch, nicht nur in der Gegenwart zu leben, sondern ebenso an zukünftige Generationen zu denken, die ebenfalls die Chance bekommen sollen in einer freien, lebenswerten und demokratischen Gesellschaft und Umwelt leben zu können. Das bedeutet, dass auch Nachhaltigkeit eine Rolle in der Demokratiebildung spielt. Eine entscheidende Frage lautet daher: Wie sollten wir uns verhalten und handeln, damit auch die Zukunft unserer Gesellschaft gesichert ist? In Projekten rund um das Thema Umwelt-, Klima- und Tierschutz können Kinder viel darüber erfahren, wie wichtig Nachhaltigkeit für den Fortbestand unseres Planeten ist und wie jede*r Einzelne einen wichtigen Beitrag dazu leisten kann. Aber auch im Alltag können die Kinder nachhaltiges Handeln erleben und so selbst verinnerlichen. Achten Sie darauf, wie der Müll in der Kita getrennt wird und sprechen Sie mit den Kindern darüber. Bei einem Ausflug kann auch gern mal etwas Müll aufgesammelt und dann richtig entsorgt werden. Auch die Ernährung bietet vielfältige Themen zur Nachhaltigkeit: Was ist gesund, was eher weniger? Wo kommt unser Essen eigentlich her? Warum ist es für die Umwelt besser, saisonales Obst und Gemüse zu essen? Spannende Anregungen hierzu finden Sie in unserem FRÖBEL-Lab „Mahlzeiten und Ernährung in der Kita – Bildungsmomente gemeinsam gestalten“.
Demokratiebildung ist eine Gemeinschaftsaufgabe
Die in diesem Beitrag beschriebenen Aspekte und Prinzipien von Demokratie(bildung) sind keinesfalls als vollständig zu betrachten. Sie sollten sich vielmehr gemeinsam als Team, mit den Kindern sowie den Familien auf den Weg machen und sich fragen: Was macht für uns ein demokratisches Miteinander aus? Welche Werte sind uns in unserer Einrichtung wichtig? Wie demokratisch sind wir in unserem Alltag und wie demokratisch wollen wir werden?
Es liegt an den Familien sowie an den Erziehungs- und Bildungseinrichtungen Kindern Demokratie näher zu bringen und dafür zu sorgen, dass sie sich mit Demokratie sowohl als Staats- vor allem aber als Lebensform identifizieren können. Andernfalls kann es passieren, dass Kinder auch im Erwachsenenalter unser politisches und gesellschaftliches System nur noch als ein abstraktes Konstrukt wahrnehmen, das mit ihrem realen Leben nur bedingt etwas zu tun hat. Dementsprechend wenig werden sie sich dafür interessieren. „In den Kindertagesstätten sollen den Kindern die Grundregeln unseres demokratischen Systems und unsere Rechtsordnung nahegebracht werden. Die Kinder sollen lernen, dass es sich lohnt, sich politisch zu engagieren, um damit die eigenen Lebensverhältnisse mitzugestalten“ (Michell 2019, S. 17).
Es gibt auch zahlreiche tolle Kindebücher zum Thema Demokratie, zwei davon möchten wir Ihnen hier empfehlen.
Die Bademattenrepublik
Diese Schritt-für-Schritt-Anleitung zum Aufbau einer eigenen Demokratie zeigt mit einem Augenzwinkern, wie „einfach“ es ist, ein eigenes Land aufzubauen und was alles dazu gehört. Von der Namensgebung über das Regierungs-, Rechts- und Finanzsystem bis hin zur Außenpolitik wird alles kindgerecht erklärt. Das Buch bietet viele tolle Gesprächsanlässe und lässt sich zum Beispiel für ein Demokratieprojekt mit Vorschulkindern oder im Hort nutzen. Es hat einen hohen Mitmach- oder Aufforderungscharakter: Die Kinder bekommen sofort Lust, selbst eine Flagge zu entwerfen, sich einen Namen und Gesetze auszudenken.
Die Bademattenrepublik | Valerie Wyatt & Volker Friedrich | Klett Kinderbuch | ab 5 Jahre
© Klett Kinderbuch © Peter Hammer Verlag
Wer tanzt schon gern allein?
Für uns ist es selbstverständlich in einer Demokratie zu leben. Aber was heißt das eigentlich? Was sind demokratische Werte? In diesem Sammelband stellen 32 Kinderbuchautorinnen und -autoren Ihre Gedanken zu Demokratie in zahlreichen Geschichten, Bildern und Gedichten vor.
In den Beiträgen geht es zum Beispiel um Respekt, Toleranz, Vielfalt und die Übernahme von Verantwortung – und damit um die Grundlagen unserer demokratischen Gesellschaft. „Eine Gesellschaft, die Vielfalt nicht als Bedrohung, sondern als einen Wert versteht, für den es sich zu engagieren lohnt.“
Wer tanzt schon gern allein? | Karin Gruß |Peter Hammer Verlag | ab 5 Jahre
Verweise
Maywald, Jörg (2019): Kinderrechte und Demokratiepädagogik: Den Kinderschutz in der Kita verwirklichen. In: Schneider, Armin / Jacobi-Kirst, Carmen (2019): Demokratiepädagogik in Kindertageseinrichtungen. Partizipation von Anfang an. Opladen, Berlin, Toronto: Verlag Barbara Budrich. S. 35-48.
Michell, Doris (2019): Demokratie braucht Regeln – Grundlagen für Demokratiepädagogik in der Kita. In: Schneider, Armin / Jacobi-Kirst, Carmen (2019): Demokratiepädagogik in Kindertageseinrichtungen. Partizipation von Anfang an. Opladen, Berlin, Toronto: Verlag Barbara Budrich. S. 13-23.
Schneider, Armin / Jacobi-Kirst, Carmen (2019): Demokratiepädagogik in Kindertageseinrichtungen. Partizipation von Anfang an. Opladen, Berlin, Toronto: Verlag Barbara Budrich.
Sehr gute Erleuchterungen und Vorschläge. Die Thematik ist besonder jezt auch in die aktuelle Geschänissen brisant.
Und es stimmt „früh übt mann und tauscht mann sich am besten“
Vielen Dank, ich fühle mich bestätigt immer wieder mit „zusammen und demokratisch ist man stark!“
Vielen Dank für diese schöne und ermutigende Rückmeldung!
Die Rechte der Kinder wurden in diesem Meisterwerk umfassend erläutert. ich finde es so wichtig, dass Kinder schon in einem sehr zarten Alter frei wähle und an Aktivitäte teilehmen könenn, die ihnen helfen, ihre eigene Welt zu gestalten.