Rein in die Natur – Warum?
Wälder und naturbelassene Grünflächen liegen für viele Stadtkinder meist in weiter Ferne. Dabei bietet die Natur eine ganz besondere Lernumgebung für Kinder.
Spielplätze von Kindertageseinrichtungen oder Parks bieten Kindern meist vieles zum Klettern, Rutschen, Schaukeln und Balancieren. Doch die Gestaltung ist oft wenig naturnah und die Bewegungsmöglichkeiten sind durch die Spielgeräte vorgegeben. Erfahrungen in der Natur werden für viele Kinder seltener. Dabei erleben sie in der Natur eine Vielfalt an Formen, Oberflächen, Farben und Gerüchen und somit eine ganz besondere Lernumgebung.
In der Natur zu spielen bedeutet für Kinder Vielfalt, Kreativität, Ausprobieren. Es gibt kein Klettergerüst und keine Rutsche, dafür aber Baumstämme, die zum Klettern einladen. Zwischen zwei kleinen Bäumen lässt sich z. B. eine Höhle bauen, im Spiel kann daraus auch eine Feuerwache entstehen und Stöcke werden zu Feuerwehrschläuchen. Das Spiel in der Natur bietet vor allem die Chance auf ein selbstgesteuertes Spiel ohne vorgefertigte Materialien. Das ist für die kindliche Entwicklung wichtig, weil es Raum bietet, sich selbst auszuprobieren, in verschiedene Rollen zu schlüpfen, Themen zu durchleben und sich somit kreativ mit der Welt auseinanderzusetzen.
Die Natur bietet viele Möglichkeiten zur Bewegung. Damit unterstützt die natürliche Umgebung die motorische Entwicklung von Kindern, die so bedeutsam für ihre gesunde Entwicklung ist. Und Kinder benötigen vielfältige körperliche Herausforderungen! Dies kann in der Natur gut umgesetzt werden. Allein ein unebener Waldboden, alte Wurzeln zum Klettern oder Stämme zum Balancieren bieten Herausforderungen für Kinder. Kinder müssen sich dabei ganz automatisch mit der Natur und sich selbst auseinandersetzen: Was schaffe ich? Kann ich so hoch klettern? Und wie fühlt es sich an alleine oder mit Hilfe von dem Stamm zu springen? So können sie Selbstwirksamkeit erleben. Gleichzeitig erleben die Kinder Natur zum Anfassen und zum Begreifen.
Ich habe Prof. Dr. Ulrich Gebhard, Professor für die Didaktik der Biowissenschaften an der Universität Hamburg, getroffen und ihm einige Fragen zur Bedeutung von Naturerlebnissen gestellt.
Herr Gebhard, braucht ein Kind Naturerlebnisse?
Was das Kind, überhaupt der Mensch, für eine Umwelt wirklich „braucht“, welche Qualität und wieviel Natur, ist eine schwierige Frage. In zahlreichen Untersuchungen zur Kleinkindentwicklung wird hervorgehoben, wie wichtig eine vielfältige Reizumgebung ist. Eine naturnahe Umgebung, in der sowohl relative Kontinuität als auch ständiger Wandel besteht, ist ein sehr gutes Beispiel für eine derartige Reizumwelt, die eine Mittelstellung zwischen neu und vertraut einnimmt. Die Natur verändert sich ständig und bietet zugleich Kontinuität. Sie ist immer wieder neu (z.B. im Wechsel der Jahreszeiten) und doch bietet sie die Erfahrung von Verlässlichkeit und Sicherheit.
Was sollte das natürliche Umfeld bieten, um attraktiv und anregend für Kinder zu sein?
Beliebt ist das Spiel mit Bäumen und Wasser, aber auch der Umgang mit Tieren. Das Wichtigste ist jedoch die Freizügigkeit. Auch und gerade mit Brachflächen können Kinder etwas anfangen. Dabei reichen Kindern auch ungenutzte städtische Flächen wie Hinterhöfe oder unbebaute Flächen. Wesentlich für sie ist nur, dass sie frei in ihrer Interpretation der Umwelt bleiben: dass sie niemand kontrolliert und dass keiner ihre Erfahrungen zu lenken versucht. Dann spielen Kinder selbstbestimmt, komplexer und auch kreativer als auf Spielplätzen.
Was zeichnet gute Pädagogik zur Naturbildung aus?
Es ist der Freiraum, der die Natur für Kinder attraktiv macht. Positive Wirkungen von Naturerfahrungen entfalten sich nicht ohne weiteres, wenn Natur verordnet wird, wenn allzu umstandslos Naturorte zu Lernorten gemacht werden. Naturnähe ist oft schon da, sie braucht mehr das Interesse der Erwachsenen und die großzügige Gewährung als die allzu pädagogische und didaktische Geste.
Die positive Wirkung von Natur ereignet sich nämlich nebenbei. Ein Naturraum wird dann als bedeutsam erlebt, wenn man in ihm eigene Bedürfnisse erfüllen und seine Phantasien und Träume schweifen lassen kann. Durch Erlebnisse in der Natur bekommt diese eine persönliche Bedeutung; dies wiederum schafft eine Verbindung und – das dürfen wir zumindest hoffen – eine Verbindlichkeit und ein Verantwortungsgefühl gegenüber der Umwelt. Doch das ist nicht der wesentliche Punkt. Vielmehr geht es darum, dass Naturerfahrungen einfach gut tun und nicht dazu da sind, die Kinder zu moralisieren.
Dieser Text erschien zuerst im FRÖBEL-Themenheft „Rein in die Natur“.