Sprach- und Leseförderung zwischen digitalen und analogen Welten
In ihrer Abschlussarbeit untersuchte Adriana Hofer den Einfluss von digitalen Medien auf die frühkindliche Lese- und Mediensozialisation von Kindern. Wie sie dabei vorgegangen ist, welche zentralen Erkenntnisse sie gewonnen hat und wie diese der pädagogischen Praxis in Kindertageseinrichtungen nutzen können, erklärt sie in unserem Interview.
Warum haben Sie sich für dieses Forschungsthema entschieden?
Wenn an Medien- und Kommunikationswissenschaften gedacht wird, wird oft direkt an soziale Medien oder digitale Medien gedacht. Was dabei oft vergessen wird, ist, dass Bücher auch Medien sind und dass das Lesen sowie die Lesekompetenz die Grundlage jeglicher Mediennutzung darstellen. Lesen ist dabei meiner Meinung nach die wichtigste Schlüsselkompetenz für eine kompetente Mediennutzung. Ich finde es deshalb sehr wichtig, Lesen und Medien nicht als Abgrenzung zueinander zu verstehen, sondern als zusammenhängende Faktoren.
Digitale Medien, wie zum Beispiel Lese-Apps auf Smartphones und Tablets, sind mittlerweile auch ein fester Bestandteil im Alltag von Kindern. Für mich war es deshalb von besonderem Interesse herauszufinden, wie digitale Medien in den Lesealltag von Kindern produktiv integriert werden können, um die Sprach- und Leseförderung zu unterstützen.
Das Produkt Luka® fand ich in diesem Kontext besonders interessant, da es analoge und digitale Faktoren verbindet. Zum einen bindet das Produkt das analoge Buch mit ein und zum anderen ist es natürlich auch ein digitales Medium, dass den Kindern neue Welten und Möglichkeiten eröffnet.
Wie sind Sie bei der Forschung vorgegangen?
Um herauszufinden, welchen Beitrag Luka® zur Lese- und Mediensozialisation leisten kann, habe ich zunächst einmal analysiert was mit Lese- und Mediensozialisation überhaupt gemeint ist, wie Sozialisationsprozesse in der frühen Kindheit ablaufen und unter welchen Bedingungen auch eine gelingende Lese- und Sprachförderung stattfindet. Einfach gesagt: Was brauchen Kinder für eine gelingende Lese- und Mediensozialisation und was kann oder muss vonseiten der Eltern sowie der pädagogischen Fachkräfte getan werden, um diese zu fördern. Da auch das Vorlesen einen wesentlichen Teil der Sprach- und Leseförderung der frühen Kindheit einnimmt, habe ich mich zusätzlich intensiv mit dem Prozess des Vorlesens auseinandergesetzt. Ziel war es dabei, herauszufinden, wie der ideale Prozess des Vorlesens aussieht, um die Kinder maximal zu fördern.
Da die Theorie aber oft von der Praxis abweicht, war es mir wichtig, zusätzlich Interviews mit Expert*innen zu führen, die aus unterschiedlichen Bereichen kommen und Luka® besser einschätzen können. Befragt habe ich einen Medienpädagogen, eine Vertreterin der Distributionsfirma von Luka® und eine Koordinatorin eines FRÖBEL-Kindergartens. Bei der Vertreterin der Distributionsfirma fragte ich nach der Hintergrundidee und der Zielgruppe von Luka®. Von dem Medienpädagogen erhoffte ich mir eine fachliche Einschätzung zu den Fördermöglichkeiten und Einschränkungen von Luka®.
Besonders relevant fand ich aber auch Einblicke in den praktischen Umgang der Kinder mit dem Produkt und wollte ein paar Erfahrungsberichte sammeln und schauen, ob und wie Kinder mit Luka® lesen. Das dritte Interview unterscheidet sich also in der Hinsicht von den anderen beiden, dass diesem eine dreiwöchige praktische Testphase von Luka® vorausging. Der sogenannte Vorlese-Freund wurde mit dazugehörigen Büchern an den FRÖBEL-Kindergarten verliehen. Dort wurde er vorgestellt und anschließend im Rahmen eines Leseprojektes alle zwei Tage bis täglich zum Vorlesen eingesetzt. Die Kinder konnten also unter Aufsicht mit Luka® selbstständig lesen und spielen.
Was sind die zentralen Ergebnisse und Erkenntnisse?
Die zentralen Erkenntnisse und Ergebnisse der Arbeit habe ich in förderliche Aspekte, Chancen und Potenziale sowie in Nachteile, Defizite und Risiken von Luka® aufgeteilt. Beginnend bei den Chancen und Möglichkeiten ist die Erweiterung der Vorlesezeiten und -kapazitäten hervorzuheben. Als häufig genannte Gründe, weshalb Eltern selten oder nie vorlesen, werden in der Vorlesestudie 2020 zeitliche Engpässe, wenig Motivation oder Müdigkeit oder anderweitige Aufgaben im Haus genannt. An dieser Stelle kann Luka® Lesezeiten und -situationen erweitern und dort anbieten, wo sie unzureichend erfüllt werden oder wegfallen. Denn je häufiger und regelmäßiger vorgelesen wird, desto positiver ist die Einstellung zum Lesen und folglich auch der Effekt auf die Leseintensität und -kompetenz. Zudem können Kinder Luka® durch die einfache Funktionsweise eigenständig Nutzen und sind dadurch zeitlich ungebunden.
Ein großer Vorteil, den Luka® gegenüber Lese-Apps aufweist, ist, dass Luka® buchgebunden ist. Für viele Eltern ist das sehr wichtig und ein Grund, keine Lese-Apps zu benutzen. Wenn die Kinder mit Luka® lesen, können sie die Buchstaben sehen, verfolgen und die Illustrationen anschauen. Bücher haben statische Bilder, die ermöglichen, die Kreativität und Fantasie zu entfalten.
Aus dem praktischen Test in der Kita in Münster ist hervorgegangen, dass die Kinder Luka® gerne nutzen, das Design ist ansprechend und sie freuen sich, wenn er vorliest. Er ist optisch sehr niedlich, weshalb Kinder ihn einem Smartphone oder Tablet sogar vorziehen könnten. Der Test in der Kita zeigt, dass die Kinder auch aktiv nach der Leseeule fragen. Das ist natürlich ein großer Erfolg, wenn die Kinder durch Luka® Spaß am Lesen haben und aktiv und eigeninitiativ mit Luka® lesen wollen.
Zusätzlich zum Vorlesen kann Luka® auch Geschichten erzählen, Gedichte und Reime aufsagen und (Schlaf-)Lieder singen. Das fördert nicht nur das Zuhören, sondern bereitet auch Textverstehen vor und begünstigt das phonologische Bewusstsein. Das kann für Kinder, die wenig von den Eltern unterstützt werden, ähnlich zu Hörbüchern oder anderen auditiven Medien hilfreich sein, um den Leseerfolg zu maximieren.
Negativ aufgefallen ist mir vor allem die fehlende Interaktion und das Ausbleiben der Anschlusskommunikation bei der Nutzung von Luka®. Es fehlt jegliches Zusammenspiel mit dem Buch und mit dem Vorlesepartner oder der Vorlesepartnerin. Es findet keine Benennung von Bildern oder Gegenständen im Buch statt. Dabei schätzen Kinder beim Vorlesen besonders, dass sie Fragen stellen können. Die Eule kann keine Fragen beantworten und erschöpft folglich nicht das gesamte Potenzial von Kinderbüchern.
Beim Vorlesen mit digitalen Medien fehlt die Nähe und Intimität und diese ist laut dem Medienpädagogen Hoffmann mindestens so wichtig wie das Vorlesen an sich. Gerade bei Lese- und Sprachförderung finde ich es wichtig, dass Kinder eine Vorbildperson haben. Das fällt beim Lesen mit der Eule und auch weg.
Insgesamt ist die zentrale Erkenntnis der Forschung aber, dass man Luka® oder auch andere digitale Medien nicht generell als schlecht oder gut einschätzen kann. Egal um welches digitale Medium es sich handelt oder selbst wenn es sich um ein analoges Buch handelt, kommt es bei der Lese- und Sprachförderung immer auf die Ausgestaltung des Vorlesedialogs an und auch darauf, in welchem Maße digitale Geräte mit einbezogen werden. Es sollte ein balanciertes Verhältnis zwischen dem traditionellen Vorlesen und der Nutzung von digitalen Medien vorliegen. Ausschließlich traditionell oder ausschließlich mit digitalen Medien zu lesen halte ich nicht für sinnvoll.
Haben Sie diese Ergebnisse erwartet oder gab es auch Überraschungen und unerwartete Erkenntnisse?
Ich war von den Ergebnissen sehr überrascht. Wie vermutlich viele andere Personen auch, stand ich der Vorleseeule eher skeptisch gegenüber. Ich konnte mir nicht vorstellen, dass ein „Plastik-Tier“ einen Mehrwert bieten und Kinder bei der Lese- und Sprachförderung unterstützen kann. Die negativen Aspekte und Risiken von Luka® waren dabei nicht überraschend, von diesen bin ich schon vor der Untersuchung ausgegangen. Was ich allerdings nicht erwartet habe, ist, dass die Kinder Luka® gerne und eigeninitiativ nutzen und er so zusätzlich zum traditionellen Vorlesen Vorlesezeiten und -kapazitäten erweitern kann und auf diesem Weg im hektischen Alltag vieler Eltern eine Unterstützung sein kann.
Ein weiterer Aspekt, der mich überrascht hat, ist, dass viele Eltern immer weniger oder sogar gar nicht mehr vorlesen. Im Hinblick auf die Erkenntnisse der Arbeit ist das eine sehr traurige Entwicklung.
Was bedeuten Ihre Erkenntnisse für den pädagogischen Alltag von Kindergärten und Horten?
Mein Tipp an pädagogische Fachkräfte zum Einsatz digitaler Medien zur Sprach- und Leseförderung ist zunächst einmal ganz konkret, die Chancen und Potenziale der Integration von digitalen Medien in der Lese- und Sprachförderung anzuerkennen. Lesen und Medien sollten nicht als Gegensätze verstanden werden. Die Augen der Kinder vor digitalen Welten verschließen, finde ich nicht sinnvoll. Vielmehr sollte überlegt werden, wie digitale Medien sinnvoll und ergänzend in den Kinderalltag eingebaut werden können.
Digitale Medien zu integrieren bedeutet natürlich nicht, diesen das Vorlesen aus Bequemlichkeit zu überlassen. Kinder lesen gerne mit digitalen Medien, weil es für sie etwas Spannendes, Neues ist. Aber digitale Medien können nun mal nicht alle Facetten für eine produktive Lese- und Sprachförderung abdecken und können somit das traditionelle Vorlesen niemals ersetzen. Mein Tipp an pädagogische Fachkräfte ist deshalb, digitale Medien ergänzend zu nutzen und danach mit den Kindern über das Gelesenene zu kommunizieren. Die pädagogischen Fachkräfte können Rückfragen stellen und an das Gelesene anknüpfen. So kann herausgefunden werden, ob die Kinder auch alles verstanden haben, was sie mit Luka® gelesen haben und welche Gedanken sie zu dem Buch oder der Geschichte haben. Generell unterstützend für die Lese- und Sprachförderung sind flexible und offene Vorleseprozesse, die den Fokus nicht ausschließlich auf das Lernen setzen, sondern auch den Spaß am Umgang mit Büchern fördern. Der Lesedialog sollte kommunikativ gestaltet werden, um das volle Potenzial von Kinderbüchern auszuschöpfen.
In Hinblick auf die Forschungsergebnisse könnte ein „Vorlesealltag“ also so gestaltet werden, dass die Eltern, die Familie oder auch die pädagogischen Fachkräfte feste Vorlesezeiten haben (zum Beispiel vor dem Mittagsschlaf oder abends vor dem Zubettgehen), an denen traditionell vorgelesen wird, mit einem Buch und in einer entspannten intimen Atmosphäre. Das darf auch durch Luka® oder andere digitale Medien nicht ersetzt werden. Diese können aber zusätzlich zur Verfügung gestellt werden, damit die Kinder sich eigeninitiativ vorlesen lassen können, wenn sie es möchten. Idealerweise suchen die pädagogischen Fachkräfte oder die Familie danach das Gespräch mit dem Kind und sprechen darüber, was das Kind gelesen hat und welche Gedanken es dazu hat.
So kann der Vorlesealltag dialogisch und interaktiv gestaltet werden. Nähe und Intimität zum Vorlesepartner oder zur Vorlesepartnerin ist auch gegeben und der Vorleseprozess ist text- und bildgebunden. So können alle Kriterien des idealen Vorlesens und der idealen Sprach- und Leseförderung erfüllt werden.
Gastautorin
Adriana Hofer (Publizistik- und Politikwissenschaftlerin B.A.) hat sich in Ihrem Studium in Zusammenarbeit mit der Stiftung Lesen viel mit den Themengebieten Lesen und Medien beschäftigt. In ihrer Abschlussarbeit untersuchte Sie den Einfluss von digitalen Medien auf die frühkindliche Lese- und Mediensozialisation von Kindern. Bereits vor Ihrem Studium arbeitete Sie ehrenamtlich als Lehrkraft und in der Leseförderung an der Deutschen Internationalen Schule Kapstadt und im Philippi Children Centre in Südafrika.
Sehr spannend! ist die Abschlussarbeit publiziert oder kann man sie an der Uni-Bibliothek bekommen?
das würde mich auch interessieren 🙂