Mit Kindern im Museum
Paul König hat im Rahmen seines Forschungsprojektes „Darbietung der Objekte. Frühkindliche Bildungsprozesse im Antikenmuseum der Universität Leipzig“ untersucht, welches Potential Musseen für die Bildungsprozesse von Kindern haben können. Dazu hat er eng mit der Forschungskita der Universität Leipzig und FRÖBEL, dem FRÖBEL-Integrationskindergarten Am Elsterbecken zusammen gearbeitet. Im folgenden Interview erläutert er sein Forschungsvorhaben und teilt zentrale Ergebnisse.
Warum ist das Thema so interessant für Sie?
Museen adressieren Kinder als Zielgruppe und formulieren entsprechende Vermittlungsangebote. Mit Blick auf Grund- und weiterführende Schulen gibt es langjährige Erfahrung, auch in der Forschung, wobei von einer erziehungswissenschaftlichen Begleitforschung nur selten gesprochen werden kann. Häufiger werden Angebote und Methoden evaluiert und als für die Zielgruppe geeignet herausgestellt. Dabei fällt auf, dass offensiv Anschluss an Lehrpläne gesucht wird und Museumsprojekte auf Unterrichtsthemen zugeschnitten sind. Auch die meisten der Bildungs- und Orientierungsplänen für den Elementarbereich regen Zusammenarbeiten zwischen Kindertageseinrichtungen und Museen an; ähnlich formuliert es der Bundesverband Museumspädagogik.
Die Tendenz, sich in der Museumsarbeit mit Kindern auf Bildungs- und Lehrpläne zu berufen, hat mich interessiert. Einerseits ist sie aus Sicht der Museen nachvollziehbar, um für Kindergarten- und Schulgruppen attraktiv zu sein. Diese wiederum müssen Museumsbesuche vor den verbindlichen Plänen legitimieren können. Andererseits wird die Frage nach der Ausrichtung der Professionalisierung der Museumspädagogik aufgeworfen sowie der Eigenständigkeit des Museums und seiner gesellschaftlichen Funktion. Dessen Aufgaben, traditionell das Sammeln, Bewahren, Forschen, Ausstellen und Vermitteln von materiellen Objekten, dient meiner Auffassung nach – Museologinnen und Museologen widersprächen hier womöglich – einem Bildungszweck. Dieser ist weder curricular noch an den „Erwerb“ bestimmter Kompetenzen in definierten Bildungsbereichen gebunden.
Museen bieten ein „Milieu der Bildungsoffenheit“, wie der Erziehungswissenschaftler Rainer Treptow einmal schrieb. Was das im Rahmen des Besuchs einer Kindergartengruppe bedeuteten kann, war Thema meiner Masterarbeit. Dabei leitete mich die Frage, wie und unter welchen Bedingungen sich Kinder Zugänge zu materieller Kultur im Museum schaffen, welche Objekte ihnen dabei begegnen und welche Handlungen und Interessen damit in Verbindung stehen. Verschwiegen werden soll nicht, dass ich mich dem Erhebungsort verbunden fühle und wichtige Unterstützung seitens des Antikenmuseums der Universität Leipzig erhielt, um mein Projekt in dieser Weise durführen zu können.
Wie sind Sie bei Ihrer Forschung vorgegangen?
Gemeinsam mit einer Gruppe vier- bis sechsjähriger Kinder, einer Erzieherin und einer Klassischen Archäologin habe ich das Antikenmuseum an zwei Tagen im März 2020 für jeweils eine Stunde besucht. Dabei fanden wir das Museum während des ersten Besuchs so vor, wie es sich jedem anderen Besucher auch präsentiert, d.h. ohne ein spezifisches Angebot für Kinder dieser Altersgruppe. In der Woche darauf wurde der Ausstellungsraum um museumspädagogische Materialien, z.B. ein Modell einer pompejanischen Villa, das zusammengebaut werden konnte sowie Malutensilien, Periskope und Fotoapparate ergänzt. Diese sollten zu einer erneuten Erkundung des Museums und seiner Objekte einladen. Ein dritter Besuch, zu welchem wir eigene „alte“ Objekte ins Museum mitbringen wollten, konnte nicht mehr realisiert werden.
In diesen Besuchsumgebungen habe ich verschiedenen Datensorten erhoben: Beobachtungsdaten aus der teilnehmenden Beobachtung, die zu Feldprotokollen ausgearbeitet worden sind, Gesprächsdaten, die ich mit einem Audiorekorder aufzeichnete und anschließend transkribierte, Bilddaten aus der Fotodokumentation, wobei ich auch die Zeichnungen und Fotografien berücksichtigte, die die Kinder anfertigten. Zudem fand nach jedem Besuch ein etwa einstündiges Gespräch zwischen der Erzieherin, der Archäologin und mir statt, das zur Rekonstruktion der Besuche ebenfalls aufzeichnet und transkribiert worden ist.
Das so entstandene Material habe ich im Sinne der Grounded Theory ausgewertet. Dabei werden Daten kodiert, d.h. ausgewählt, in ihrer Relevanz bestimmt und mit Begriffen bezeichnet. Im Laufe der Analyse arbeitet man regelgeleitet, z.B. durch generative Fragen, material- und gegenstandsbezogene Konzepte und Kategorien heraus, die miteinander in Verbindung stehen. Ziel meiner Forschung war jedoch nicht eine tragfähige Theorie frühkindlicher Bildungsprozesse im Antikenmuseum zu entwickeln, sondern zuerst einmal interessante Phänomene zu identifizieren und deren Eigenschaft zu beschreiben.
Was sind die zentralen Ergebnisse?
Im Zuge der Auswertung entstanden mitunter sehr ausführliche Interpretationen einzelner Situationen aus den Museumsbesuchen. Dabei habe ich immer nach Bezugspunkten an den Objekten in ihrem Ausstellungskontext gesucht, um die Handlungen der Kinder im Zusammenhang mit ihren konkreten wahrnehmbaren Voraussetzungen zu verstehen. Auf die einzelnen Beispiele kann hier nicht ausführlich eingegangen werden. Gemein ist ihnen jedoch, dass die teilnehmenden Kinder sich weniger auf die funktionale Seite der Exponate beziehen als auf deren sinnlich-materiale Qualitäten, die man auch als Objekteigenschaften bezeichnen könnte, vor allem Form, Farbigkeit, Bildniselement und Darstellung. Am Beispiel einer antiken Opferschale ließ sich nachvollziehen, wie die Objekteigenschaft „Form“ zur Aufmerksamkeit auf das museale Objekt führte und zum autobiografischen Erinnerungs- und Sprechanlass über einen Krebs aus dem Leipziger Zoo wurde, dessen Körper eine ähnliche Form hat. Diese Ähnlichkeitsbeziehungen zwischen Objekten und Objekteigenschaften wurden mehrfach explizit sprachlich thematisiert. Doch auch in den Zeichnungen wurde konkret Wahrnehmbares aufgegriffen, mit eigenen Ideen in Verbindung gebracht und noch im reproduktiven Medium der Fotografie ließen sich individuelle Zugänge zu den Objekten identifizieren, stellt man die einzelne Aufnahme in ihre Bildfolge. Besonders interessant fand ich dabei, dass die angesprochen Objektdetails zum Teil auf ihren tatsächlichen Präsentationszusammenhang verweisen. Auch hierzu ein Beispiel: Nehmen einige der Kinder Bezug auf die Lockenfrisur eines Kaisers oder den Bart eines Philosophen, sprechen sie jene Elemente an, die zur archäologischen Identifikation und Klassifikation von Bildnissen herangezogen werden. Wie im Falle der Opferschale sind es jedoch nicht die Kaiserlocken, sondern die eines nicht anwesenden Kindes aus dem Kindergarten, das allen bekannt war. Materiale Erscheinung, sachlicher Inhalt und soziale Beziehung wurden hier gemeinsam behandelt.
Doch nicht nur die Exponate waren von Interesse. Im Gegenteil: Auch Objekte, die selten im Fokus der Vermittlungsarbeit stehen, gerieten in den Fokus, etwas das Treppenhaus des Museums und Teile der Ausstellungstechnik, wie Vitrinen und Sockel, deren Farbigkeit zur Entscheidung heranzogen worden sind, ob ein Objekt angefasst werden darf oder nicht. Die antiken Originale, auf die sich das Berührungsverbot bezieht, gerieten dabei in den Hintergrund. Zugleich ließen sich Strategien der Kinder aufzeigen, sich dennoch den Objekten in den Vitrinen anzunähern: Manche gaben sich eigene Such- und Zählaufträge, andere forderten gemeinsame Aufmerksamkeit ein, die wiederum neue Informationen und Fragen generierte oder nutzen die bereits genannten Materialien, insbesondere die Fotoapparate und Malutensilien, um ihre Eindrücke festzuhalten und zu verarbeiten.
Was können Fachkräfte und Familien beim nächsten Museeumsbesuch mit Kindern beachten?
Mein Vorgehen war exemplarisch und ich möchte nicht den Eindruck erwecken, die Ergebnisse meiner Masterarbeit ließen sich verallgemeinern bzw. es zu, Handlungsempfehlungen abzuleiten. Die Hinweise, die ich geben möchte, beziehen sich auf theoretischen Überlegungen, die gemeinsame Erfahrung aus den Museumsbesuchen und meine Lesart der erhobenen Daten.
Ein Anliegen meiner Arbeit ist es, Kinder als Besucher zu stärken: Ein Museumsbesuch lohnt sich immer. Warten Sie daher nicht auf zielgruppenspezifische Angebote. Die hier nur angedeuteten individuellen Zugangsweisen erfordern, das man sich in der Vorauswahl bestimmter Themen und Objekte zurückhält. Aus meiner Sicht ist es wichtig, auf die Voraussetzungen und Fragen zu vertrauen, mit denen die Kinder ins Museum kommen, diesen Raum zu geben und der Spur der Objekte zu folgen. Damit geht einher, auch wirklich Zeit in den Ausstellungs- oder, wo es möglich ist, Depoträume zu verbringen, nicht nur in zum Teil ausgelagerten Räumen für museumspädagogische Angebote. Geben Sie Kindern die Möglichkeit, das Museum selbst zu explorieren. Dass dies von den jungen Besuchern geschätzt wird, bestätigen auch Ergebnisse der Besucherforschung in Kindermuseen. Suchen Sie also eigene Wege durchs Museum und kommen Sie vom Rundgang ab. Diese Herangehensweise fordert womöglich das Berührungsverbot heraus; ebenso die eigengeschränkten Bewegungsformen, die ein Museumsbesuch häufig erfordert. Ich halte in diesem Zusammenhang konkrete Rückzugsangebote für wichtig – Kissen oder, wie im Falle meiner Erhebung, einen Tisch und Stühle, an dem nicht nur gezeichnet, sondern sich auch ausgeruht worden ist.
Eine weitere Herausforderung kann sein, die Bildungsoffenheit auszuhalten, Erfahrungen dennoch einzuordnen. Gehen Sie deshalb auf Erzählanlässe ein, auch wenn diese aus dem Museum hinausführen. Seien Sie gemeinsam aufmerksam oder bringen Sie eigene Objekte in die Ausstellung mit. Malutensilien und Fotoapparate können helfen, die Distanz zu den Objekten zu überwinden, Eindrücke festzuhalten und direkt oder im Anschluss zu thematisieren und reflektieren. Zuletzt: Fragen Sie vor ihrem Besuch nach, ob es vor Ort Tritthocker gibt – diese Distanz zu den Objekten scheint mir zumeist die größte.
Gastautor
Paul König hat Museologie, Soziale Arbeit (B.A.) und Professionalisierung frühkindlicher Bildung (M.A.) studiert. Seit April 2021 ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Professur Grundschuldidaktik des Sachunterrichts unter besonderer Berücksichtigung der Sozialwissenschaften an der Universität Leipzig. Sein Interesse gilt dem frühen Sachlernen in Museen und Sammlungen.
Es ist auf jeden Fall lohnend für Kinder, Museumsbesuche zu erleben. Am besten finde ich, wenn die Kinder Ausstellungsprojekte in einer spannenden Geschichte verpackt bekommen. Dies sollte auch zum Aass genommen werden, dass ebendiese Kinder im Nachhinein das für sie Eindrucksvollste auf zu malen und in einer Art Ausstellung in der Kita zu präsentieren.