Sprachentwicklung beobachten – und dann?
Dieser Beitrag ist in der Ausgabe 1-2022 des KINDgerecht-Magazins für frühkindliche Bildung erschienen.
Kinder erfahren, dass sie mit Sprache etwas bewirken können, ihre Gefühle ausdrücken und ihre eigene Meinung mitteilen können. Sprachbildung kann in sämtlichen Situationen umgesetzt werden. Doch nur wenn die Beobachtungsergebnisse genutzt und mit passenden Maßnahmen der Sprachbildung und -förderung verknüpft werden, profitieren Kinder und Familien.
Die Praxis der Sprachentwicklungsbeobachtung in Deutschland ist vielfältig und wenig übersichtlich. Dennoch kann festgestellt werden, dass in allen Kindertageseinrichtungen eine Sprachentwicklungsbeobachtung zumindest zu einem Zeitpunkt, meist in den letzten Jahren vor der Einschulung, vorgeschrieben oder im Rahmen der ganzheitlichen Beobachtung und Dokumentation implizit vorausgesetzt wird. Doch durch die reine Anwendung der zur Verfügung stehenden Verfahren entsteht noch kein Mehrwert für pädagogische Fachkräfte, Kinder oder Familien. Wie die Beobachtungsergebnisse genutzt werden und welche nächsten Schritte folgen, ist entscheidend.
Zusammenarbeit mit Familien
Studien zeigen schon seit langem, dass pädagogische Fachkräfte die Relevanz von Beobachtung und Dokumentation erkennen und Beobachtungsergebnisse nutzen. Im Forschungsbericht „Schlüssel zu guter Bildung, Erziehung und Betreuung – Bildungsaufgaben, Zeitkontingente und strukturelle Rahmenbedingungen in Kindertageseinrichtungen“ geben beispielsweise schon 2013 fast alle der 1.214 Befragten an, die Beobachtungsergebnisse zur Vorbereitung auf Entwicklungsgespräche mit den Familien zu nutzen („meistens“:19 %; „immer“: 76 %) (Viernickel et al. 2013).
Dies bestätigen auch aktuelle Auswertungen der Daten aus den Projekten der Bund-Länder Initiative „Bildung durch Sprache und Schrift“. In einer schriftlichen Befragung gaben von 57 pädagogischen Fachkräften ebenfalls fast alle an, dass Beobachtungsergebnisse oft oder sehr oft für Elterngespräche genutzt werden („oft“: 28,07%; „sehr oft/ immer“: 66,67 %) (Wirts/Fischer/Cordes 2021).
Das Besondere an dieser Studie mit einer eher geringen Fallzahl ist, dass sich diese Selbsteinschätzung durch eine qualitative Analyse anschließender Gruppendiskussionen mit zufällig aus den Projekteinrichtungen ausgewählten Kitateams bestätigte (ebd.). Die Entwicklungsgespräche sind ein geeigneter Anlass, um sich mit den Familien über die erlangten Kompetenzen und Entwicklungen sowie die Potenziale und Bedürfnisse des Kindes auszutauschen und sie bei Bedarf mit konkreten Ideen, Anregungen und Impulsen bei der Sprachbildung zu Hause zu unterstützen. Darüber hinaus gilt es nach der Beobachtung und Dokumentation, die Ergebnisse in pädagogisches Handeln zu überführen.
Was heißt das für die pädagogische Praxis?
Grundsätzlich wird dazu die alltagsintegrierte Sprachbildung umgesetzt und die pädagogischen Fachkräfte wenden gezielt sprachförderliche Verhaltensweisen und Sprachlehrstrategien an. Ergibt sich aufgrund der Beobachtungsergebnisse beispielsweise ein Unterstützungsbedarf im Bereich der Wortschatzerweiterung, kann die pädagogische Fachkraft diesen durch unterschiedliche Maßnahmen unterstützen. Dazu gehört beispielsweise handlungsbegleitendes Sprechen, korrektives Feedback („Wauwau“ – „Ja genau, da ist ein Hund zu sehen.“), Extension (Erweiterung der kindlichen Äußerung auf der Inhaltsebene), Expansion (Ergänzung bzw. Vervollständigung der kindlichen Äußerung auf syntaktischer, d. h. der Satzbau-Ebene), die gemeinsame Betrachtung von Kinder- oder Wimmelbüchern und weitere alltagsintegrierte Maßnahmen.
Für Kinder mit einem erhöhten Sprachförderbedarf ist von zentraler Bedeutung, dass pädagogische Fachkräfte zusätzlich zu der generellen Sprachbildung alltagsintegrierte Fördermaßnahmen umsetzen, z. B. die Intensität sprachlicher Anregungen erhöhen und gezielt geeignete Spiele und Aktivitäten auswählen, um das Kind individuell bei der Entwicklung spezieller sprachlicher Fähigkeiten zu unterstützen. Einige Anregungen dazu finden Sie in unseren verschiedenen Blog-Beiträgen unter der Kategorie Sprachbildung. Diese gezielte individuelle Förderung auf Grundlage der Beobachtungsergebnisse wird auch in einigen Vorgaben der Bundesländer explizit genannt, wie beispielsweise in den Kita-Gesetzen in Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen. Aufgrund der heterogenen Vorgehensweisen und Verfahren ist es zwar nicht möglich, die Ergebnisse der Sprachentwicklungsbeobachtungen oder Sprachstandsverfahren bundesweit auszuwerten oder in Bezug zueinander zu analysieren, im Rahmen des Nationalen Bildungspanels NEPS (2017) zeigte sich jedoch, „dass bei etwa jedem 5. Kind in der Altersgruppe der 5-Jährigen ein Sprachförderbedarf festgestellt wurde“ (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2020, S. 99).
BaSiK
Hilfestellung bei der Ableitung geeigneter Maßnahmen geben die Beobachtungsverfahren bestenfalls selbst. Im Manual des Beobachtungsverfahrens BaSiK ist beispielsweise eine Tabelle abgebildet, mithilfe derer verschiedene Sprachbildungsstrategien in Verbindung mit den Beobachtungsitems von BaSiK gesetzt werden, „um eine Verknüpfung der Sprechentwicklungsbeobachtung und der Sprachbildung zu erreichen“ (Zimmer 2019, S. 53). Den Items aus dem Beobachtungsbogen werden dabei Kürzel für exemplarische Situationen zugeordnet, die dann im Anschluss näher beschrieben werden. Wird durch das Item „Das Kind kann Wörter in einzelne Silben zerlegen“ beispielsweise festgestellt, dass das Kind in diesem Bereich der phonetisch-phonologischen Kompetenzen Entwicklungspotenzial hat, wird als Unterstützungsmöglichkeit folgende spielerische Situation beschrieben:
„In Bewegung kann die akustische Einheit von Silben von Kindern leichter wahrgenommen werden. Durch das rhythmische Gehen, Springen, Klatschen oder Hüpfen können Wörter spielerisch in ihre Silben zerlegt und laut ausgesprochen werden. Dies kann die Entwicklung der phonologischen Bewusstheit im weiteren Sinne unterstützen, bei der das Kind die Lautstruktur von Wörtern zu erfassen lernt. Die pädagogische Fachkraft kann zusätzlich dazu anregen möglichst lange Wörter (z. B. E-le-fan-ten-rüs-sel) oder Wörter, die nur aus einer einzelnen Silbe (z. B. Kuh) bestehen, zu finden“ (Zimmer 2019, S. 56).
„BaSik nimmt uns einen großen Teil an Dokumentationsarbeit ab und wir bekommen einen guten Einblick in die sprachliche Entwicklung unserer Kinder. Besonders gefällt mir, dass BaSik uns die Möglichkeit gibt, die Sprachentwicklung im Alltag zu fördern, ohne einen erheblichen Mehraufwand zu haben. Die Vorschläge für passende Sprachbildungsangebote sind hilfreiche Anregungen.“
(Kathrin Hoffmann, Leiterin des FRÖBEL-Kindergartens Am Volkspark)
Sprachspiele mit BiSS
Ähnlich funktioniert auch die Internetanwendung bzw. App „Sprachspiele mit BiSS“, die im Rahmen der Bund-Länder-Initiative „Bildung durch Sprache und Schrift“ durch das Staatsinstitut für Frühpädagogik und Medienkompetenz (IFP) entwickelt wurde. Die Anwendung bietet pädagogischen Fachkräften verschiedene Zugänge zur Auswahl gezielter Spiele und Aktivitäten, beispielsweise über die Angabe des genutzten Beobachtungsverfahrens und die Auswahl des Sprachbereichs, der gezielt unterstützt werden soll. Durch weitere Filtereinstellungen, wie z. B. der Gruppengröße und dem Alter des Kindes, kann die Suche verfeinert werden. Vorgeschlagen werden anschließend verschiedene Spiele und Aktivitäten mit Anleitung und Beschreibung, aber auch konkrete Bücher, Lieder oder Reime sowie Apps, die den ausgewählten Bildungsbereich sinnvoll sind, beispielsweise das Spiel „Silbensalat“, bei dem die Silben einzelner Wörter durcheinandergeraten sind und wieder in ihre richtige Reihenfolge gebracht werden müssen (z. B. TE – MA – TO) (www.sprachspiele-biss.de).
Natürlich geht es in beiden Fällen nicht darum, dass die vorgeschlagenen Aktivitäten eins zu eins wie beschrieben umgesetzt werden. Die pädagogischen Fachkräfte vor Ort kennen die individuellen Interessen der Kinder viel besser und haben oft eigene kreative und passende Ideen und Angebote parat. Vielmehr geht es darum, dass auf Grundlage der Beobachtung überhaupt eine konkrete Ableitung und Auswahl geeigneter Angebote folgt. Die Situationen und Aktivitäten aus den Verfahren bzw. Anwendungen können dabei eine Hilfestellung sein und als Anregung und Impuls genutzt werden. Eine hilfreiche Frage für die Planung nächster Schritte ist: Welche Schlüsse ziehe ich bzw. ziehen wir im Team für meine/unsere pädagogische Arbeit?
Verweise
Autorengruppe Bildungsberichterstattung (2020). Bildung in Deutschland 2020. Ein indikatorengestützter Bericht mit einer Analyse zu Bildung in einer digitalisierten Welt. Verfügbar unter: https://www.bildungsbericht.de/de/bildungsberichte-seit-2006/bildungsbericht-2020/pdf-dateien-2020/bildungsbericht-2020-barrierefrei.pdf (Zugriff am 28.02.2022).
Staatsinstitut für Frühpädagogik (IFP): Sprachspiele mit BiSS. Verfügbar unter: https://www.sprachspiele-biss.de/#/method (Zugriff am 28.02.2022).
Viernickel, Susanne; Nentwig-Gesemann, Iris; Nicolai, Katharina; Schwarz, Stefanie; Zenker, Luise (2013): Schlüssel zu guter Bildung, Erziehung und Betreuung – Bildungsaufgaben, Zeitkontingente und strukturelle Rahmenbedingungen in Kindertageseinrichtungen. Berlin: Der Paritätische Gesamtverband.
Wirts, Claudia; Fischer, Sina; Cordes, Anne-Kristin (2021). Umsetzung von Beobachtung, Dokumentation und Planung von sprachlicher Bildung im Kita-Alltag. In: Sprach- und Schriftsprachförderung wirksam gestalten: Evaluation umgesetzter Konzepte (S. 47 – 65). Stuttgart: Kohlhammer Verlag.
Zum Weiterlesen
Blog-Beitrag von Ursula Günster-Schöning (2021): Die Sprachentwicklung von Kindern von 0-6 Jahren verstehen und fördern.
Blog-Beitrag von Laura Niemeier (2020): Sprachanlässe mit digitalen Medien schaffen und gestalten.
Kita-Fachtext von Renate Zimmer: (2018): Sprache bewegt – Bewegte Sprache. Ansätze einer alltagsintegrierten Sprachbildung und Sprachförderung.