Wie gute Qualität in der Krippe sichtbar wird
11 Kriterien für eine qualitätsvolle Arbeit mit Kindern unter drei Jahren
Gemeinsam mit ihrem Projektteam hat Frau Prof. Dr. Walter-Laager an der Universität Graz die Good-Practice-Studie „Gute Qualität in der Bildung und Betreuung von Kleinstkinder sichtbar machen“ durchgeführt. Als Ergebnis ist ein umfangreiches Praxismaterial entstanden, welches als Orientierung für die Arbeit mit Kindern unter 3 Jahren dient.
Prof. Dr. Walter-Laager, was genau bedeutet gute Qualität oder Good-Practice in der Betreuung und Bildung von Kinder unter 3 Jahren?
Mit dem Titel „ Gute Qualität“ wollten wir deutlich machen, dass es nicht um ganz spezielle Leuchtturm-Einrichtungen mit ungewöhnlichen Ansätzen und besonders positiven Rahmenbedingungen geht, sondern um einen guten pädagogischen Alltag. Einem Alltag, in dem sich Kinder wohlfühlen und sich stressfrei entwickeln können. Dabei sollte die Kernfrage aus unserer Sicht immer heißen: Wie stellen wir uns das Aufwachsen von Kindern idealerweise vor? Die zentralen und auch wissenschaftlich fundierten Aspekte eines solchen Alltages im institutionellen Rahmen machen wir sichtbar und über Kriterien fassbar. Im Fokus steht dabei der Qualitätsaspekt, welcher täglich für Kinder erlebbar und von Fachkräften gestaltbar ist: Die sicherheitsgebende und anregende Interaktion zwischen Fachkräften und Kindern.
Als Ergebnis der Studie haben sie 11 Good-Practice-Kriterien herausgearbeitet – von„Partizipation ermöglichen“ über „Signale deuten“ bis zu „Konflikte begleiten“. Welche Forderungen stellen diese Kriterien an die pädagogischen Fachkräfte?
Die Kriterien stellen die Anforderung, dass Fachkräfte…
- …den Kindern durchgehend wertschätzend begegnen und während der Arbeitszeit mit den Kindern physisch wie auch psychisch präsent sind. Dies ist nicht verhandelbar und muss auch nicht unter dem Aspekt „ist mir ein Kind sympathisch“ besprochen werden.
- …die Kinder beobachten und auf die verbalen oder nonverbalen Signale der Kinder fachlich angemessen reagieren.
- …die Umgebung so gestalten, dass Kinder möglichst selbständig und ohne um Erlaubnis bitten zu müssen, aktiv sein können.
Dies bedeutet, dass man die eigene professionelle Arbeit immer wieder – möglichst anhand fundierter Standards oder Kriterien – kritisch reflektiert. Aber auch gute Aspekte des eigenen Handelns stärkt und weniger ideale Verhaltensweisen verändert. Da, wo widersprüchliche Anforderungen im Alltag zu herausfordernden Entscheidungsmomenten führen, werden diese im Nachgang anhand einer fachlichen Orientierung überdacht. Anschließend wird nach kreativen Lösungen für das zukünftige pädagogische Handeln gesucht. Die von uns erarbeiteten Arbeitsmaterialien aus dem Projekt „Gute Qualität in der Bildung und Betreuung von Kleinstkindern sichtbar machen“ bieten dafür sowohl eine fachliche Orientierung wie auch gute alltägliche Beispiele der Umsetzung.
Wie kann dieses Arbeitsmaterial von pädagogischen Fachkräften genutzt werden?
Wenn man guten Fachkräften bei der Arbeit zuschaut, gibt es ständig anregende, berührende Momente zu sehen. Momente in welchen die gelebte Beziehung deutlich wird, Kinder aufgrund der anregenden sozialen und materiellen Umgebung neue Erkenntnisse gewinnen oder Lernfortschritte zeigen. Solche alltäglichen Momente haben wir gesammelt und stellen diese zur Verfügung. So können wir interessierten Familien oder Politiker*innen die Arbeitsweise in Kitas beispielhaft verdeutlichen.
Zudem kann das Material eingesetzt werden, um zu reflektieren – in Teams, mit der Praktikantin bzw. dem Praktikanten oder einer Ausbildungs- oder Fortbildungsgruppe. Das Material besteht aus Videobeispielen mit und ohne Expertinnenkommentaren, kurzen Theorietexten sowie Vorschlägen für die Reflexionsarbeit. Alles ist frei verfügbar und bei der Nutzung ist einzig darauf zu achten, dass die Videoausschnitte wertschätzend eingesetzt werden.
Und wie kann so eine Teamsitzung oder auch ein Elternabend ganz konkret aussehen?
Die einzelnen Kriterien hängen miteinander zusammen. Jedes Team, jede Gruppe oder auch eine Fachberaterin bzw. ein Fachberater kann sich ein Kriterium heraus greifen, welches von besonderem Interesse ist oder welches in der alltäglichen Arbeit Schwierigkeiten macht.
Selbst möchte ich an dieser Stelle ein Kriterium herausgreifen, welches eine etwas in Vergessenheit geratene Facette des pädagogischen Alltages aufnimmt: Die Umgebung des Kindes und das sinnliche Erkunden. Vor 30 Jahren war das sinnliche Erkunden oder das ganzheitliche Wahrnehmen in jedem Fachbuch anzutreffen. Heute drehen sich Fachpublikationen häufiger um die pädagogische Haltung, um Bildungsprozesse ganz allgemein oder spezifisch um alltagsintegrierte sprachliche Bildung.
Gerade aber der letzte Punkt hängt bei kleinen Kindern mit dem sinnlichen Erkunden zusammen. Kleine Kinder müssen die Welt kennen lernen. Darauf aufbauend können sie mentale Modelle von Gegenständen oder einem Aggregatszustand entwickeln oder ein Skript von einem bestimmten Vorgehen erlernen. Je mehr Informationen die Kinder sammeln, umso detaillierter formt sich ein mentales Modell aus, beispielsweise von einem Apfel. Er ist rundlich, kann unterschiedliche Farben im grün-rot-Bereich aufweisen, wenn man reinbeißt spritzt es manchmal und er hängt an einem Baum. Der Apfel riecht süßlich, unterscheidet sich im Geruch von einer Birne und man kann einfach abbeißen, ohne ihn zu schälen. Damit unterscheidet er sich von anderen Früchten. Beim Sammeln der Informationen über die Welt, ist die Wahrnehmung mit allen Sinnen eine zentrale Informationsquelle.
Eigentlich ist dieses Kriterium unproblematisch und doch im Alltag bewusst mitzudenken. Wie können Kinder viele sinnliche Erfahrungen machen, ohne jeden Tag dreckig nach Hause zu gehen? Wo lauern Gefahren und wo werden die normalen Erfahrungen zu künstlichen Übungen, welche damit jeglichen sinnvollen Informationsgehalt verlieren? Solche oder auch andere Fragen können anhand des Kriteriums „sinnliches Erkunden anbieten und zulassen“ bearbeitet werden. Als Ausganglage dient ein Videobeispiel, in welchem einem Kind die Füße gewaschen werden.
Zuerst wird der Film ohne Ton angeschaut. Danach lesen alle den kurzen Theorietext. Anschließend vertonen sie den Film in unterschiedlichen Rollen (3 Kinder, eine Fachkraft, mehrere Expertinnen) neu. Alternativ oder auch ergänzend – je nachdem wie es für das Team passt – wird überlegt, wie im aktuellen Alltag in den kommenden Tagen die Vielfalt der sinnlichen Erfahrungen erweitert werden kann.
Viele Teams haben in ihren Teamsitzungen wenig Zeit, ein ganz konkretes pädagogisches Thema gemeinsam zu besprechen. Oftmals reicht die Zeit gerade um alle organisatorischen Fragen zu klären. Haben Sie Tipps, wie die Teams das Material oder einzelnen Good-Practice-Kriterien trotzdem einbinden können?
Zeit ist immer ein Problem. Es ist aber auch eine Tatsache, dass alle Teams gerne an ihrem Kerngeschäft arbeiten – nämlich der Arbeit mit den Kindern. Das Organisatorische sollte nicht zu viel wertvolle Teamzeit beanspruchen. Sofern überhaupt Teamzeit da ist, kann man an zwei Ecken ansetzen:
Organisatorisches wird effizient wegorganisiert. Hier gibt es viele Tipps, wie dies geschehen kann, abhängig von den Rahmenbedingungen, welche ein Träger bereit stellt. Wichtig ist aber, dass in Teamsitzungen nicht alle Fachkräfte mit der Lösung von organisatorischen Aufgaben beschäftigt sind. Es werden nur äußerst kurz das Ergebnis oder Fragen thematisiert. Gelingt dies, bleibt Zeit für die pädagogischen Themen.
Alternativ kann die Qualitätsentwicklung auf der Ebene der Interaktionsqualität in Kleingruppen angepackt werden, z.B. schließen sich zwei, drei Pädagoginnen bzw. Pädagogen zusammen, oder die Ausbildner*in arbeitet mit einer oder mehreren Praktikantinnen bzw. Praktikanten an einem Kriterium. Diese Variante ermöglicht es, den Fokus im Alltag auf gelingende Momente zu legen und so viele Erfolge sichtbar zu machen. In einem älteren Forschungsprojekt erwies sich der letzte Punkt für die berufliche Zufriedenheit als einer der relevanten Aspekte.
In diesem Sinne wünsche ich allen viel Freude in ihrer Arbeit und Zufriedenheit mit den bewusst erlebten Momenten. Momente, in welchen die Gemütlichkeit spürbar oder gerade wieder einmal sichtbar wird, wie Kinder einen neuen Aspekt der Welt erobern.
Gastautorin:
Univ.- Prof. Dr. habil.Catherine Walter-Laager ist Erziehungswissenschaftlerin, Kindheitspädagogin undErwachsenenbildnerin. Sie ist Geschäftsführerin der PädQUIS gGmbH und leitet den Arbeitsbereich Elementarpädagogik an der Karl-Franzens-Universität Graz. Unter ihrer Leitung wurde dort das Projekt Gute Qualität bei Kleinstkindern sichtbar machen umgesetzt und mit dem hier vorgestellten Arbeitsmaterial erfolgreich im Februar 2018 beendet.