Globales Lernen in der frühkindlichen Bildung
Globales Lernen in der frühkindlichen Bildung verfolgt das Ziel, Kindern Einblicke in weltweite Zusammenhänge und praktische Herangehensweisen zu nachhaltigen Themenbereichen zu geben. Es entstand aus der Friedensbildung in den 1990er Jahren und versteht sich seitdem als Bildungskonzept, das unterschiedliche Perspektiven öffnet und Machtverhältnisse im Kontext der Globalisierung kritisch reflektiert. Somit ist Globales Lernen auch ein integraler Bestandteil von Bildung für Nachhaltige Entwicklung – kurz BNE (vgl. KiTA-GLOBAL 2022a). Mehr zum Thema BNE erfahren Sie in unseren Beiträgen „Ein Begriff für viele Chancen“ und „Warum BNE in Kitas gehört“.
Was sich komplex anhört und eher an ein Bildungskonzept im Schulwesen erinnert, hat auch in der frühkindlichen Bildung einen hohen Stellenwert, weil Kinder in diese globalisierte Welt hineingeboren werden. Eine Welt, die von sozialer Ungerechtigkeit, übermäßigem Konsum, Ernährungskrisen und Kriegen geprägt ist. Durch diese hochaktuellen Themen sind pädagogische Fachkräfte mehr denn je von den Fragen der Kinder zum Leben auf der Erde umgeben. Kinder benötigen Antworten und aktive Auseinandersetzungen, um sich den Herausforderungen verantwortungsvoll zu stellen. Dabei steht die Vermittlung des Eine-Welt-Gedankens sowie die Entwicklung von Empathie im Zentrum (vgl. Eichner 2018, S.12). So wird klar, dass das Konzept des Globalen Lernens ein bedeutsames Handlungsfeld in der frühkindlichen Bildung ist.
Wie kann die Umsetzung in der Praxis gelingen?
Wir wissen, dass Kinder von Geburt an neugierig sind, den Drang innehaben, die Welt, in der sie aufwachsen, zu erkunden und sich dabei unvoreingenommen von ihren Interessen leiten lassen. Auf Grundlage ihrer Erfahrungen und des erworbenen Vorwissens gehen sie immer wieder neuen Fragen nach, um sich das Leben in der Welt erklären zu können. Hierbei sind sie auf Lernbegleiter*innen angewiesen, die gemeinsam mit ihnen auf die Suche nach Antworten gehen. Pädagogische Fachkräfte sind diese Lernbegleiter*innen und sollten sich darüber bewusst sein, dass Bildungsprozesse dann gelingen, wenn Themen im Kontext zur Lebenswelt der Kinder stehen (vgl. Hildebrandt 2018, S. 42 ff.). Diese Haltung ist die Grundlage, um die Werte des Globalen Lernens zu vermitteln.
Kinder sind tagtäglich von globalen Themen wie Gerechtigkeit, Armut, kulturelle Vielfalt, Ernährung und Konsum umgeben. Das Zitat der Bildungsreferentin Karin Wirnsberger verdeutlicht dies:
„Die Welt ist zu Gast in der Kita, denn hier gibt es Kinder und Familien aus aller Welt. Sie ist zu Gast im Kinderzimmer bei den Spielsachen, bei der Kleidung, den Büchern oder der Technik. Sie ist zu Gast beim Essen und in den Nachrichten. Kinder werden also permanent mit dem konfrontiert, was in der Welt passiert.“ (KiTA-GLOBAL 2022b)
Da liegt es nah, diese Themen im pädagogischen Alltag aufzugreifen. Damit Kinder aber die Komplexität der Themen durchdringen können, benötigen sie in erster Linie Vorbilder. Vorbilder, die sich ihren Handlungen in Bezug auf die o. g. Themen bewusst sind. Ein weiterer Schlüssel für den Zugang zum Globalen Lernen ist die Förderung der Persönlichkeitsentwicklung eines jeden Kindes. Dadurch eröffnen sich Gestaltungsmöglichkeiten für die Zukunft im Sinne einer nachhaltigen Entwicklung und globaler Gerechtigkeit. Der Entwicklungspsychologe Rudolf Schmitt (2005) hat sechs Prinzipien des Globalen Lernens aufgestellt, die sich auf die Förderung der Persönlichkeitsentwicklung von Kindern bezieht und ein Eine-Welt-Denken fördert (vgl. S. 3 ff.):
Prinzip 1: Soziale Nähe
Das Prinzip beschreibt die Bemühungen um ein partnerschaftliches Verhältnis zu Menschen in aller Welt (vgl. ebd.). Für Kinder im frühen Kindesalter scheint die Welt noch zu vielschichtig. Um diese für sie verständlicher zu machen, hilft ein Blick auf die Vielfalt in der Kindertageseinrichtung. Im Prinzip der sozialen Nähe geht es dabei primär um die Förderung von Sozialkompetenzen durch das Erkennen von Gemeinsamkeiten innerhalb einer diversen Gruppe. Konkret bedeutet das: Kinder erfahren soziale Nähe in dem sie Gemeinsamkeiten mit anderen wahrnehmen, erleben und teilen, z. B. die Spielinteressen, der Lieblingsspielort oder das Lieblingsessen.
Prinzip 2: Kein Schonraum – Die Wirklichkeit besser bewältigen
Kinder befinden sich oft in Spannungsfeldern, in denen sie sich zurechtfinden müssen. Um diese Spannungen bewältigen zu können, benötigen sie Kompetenzen wie Empathie, Kritikfähigkeit sowie kooperatives und solidarisches Verhalten (vgl. ebd.). Um das Prinzip in Kindertageseinrichtungen umzusetzen, müssen Möglichkeiten und Räume zur Verfügung gestellt werden, in denen Kinder Probleme benennen und über Gefühle sprechen können. Hierfür bieten sich wunderbar Gesprächsrunden wie Morgenkreise und Kinderparlamente oder Einzelgespräche zwischen Kind und pädagogischer Fachkraft an. Wichtig ist, dass in solchen Situationen jeder zu Wort kommen darf und ernstgenommen wird. Über die Erfahrung, dass sowohl eigene Beweggründe als auch die von anderen respektiert und nachvollzogen werden, fällt es Kindern in der Zukunft leicht, auch globale Spannungsfelder zu erkennen. Wie Sie mit Kindern über schwierige Themen wie Gewalt, Tod und Trauer reden können, erfahren Sie in unserem Beitrag „Wie mit Kindern über Krieg sprechen?“.
Prinzip 3: Exotik und Elend vermeiden
Kinder sollten einen Zugang zur Welt bekommen, jedoch ohne dabei in Klischees oder Stereotypen zu verhaften. Sie sollen sich ein Bild davon machen können, wie vielfältig das Leben auf der Erde ist und welche Zusammenhänge zu ihrer Lebenswelt bestehen. Anlassbezogen könnten beispielsweise eine große Weltkarte, ein Atlas oder ein Globus in Angebote unterstützen, um über die Herkunft des Lieblingsobsts der Kinder zu sprechen. Darüber ergeben sich wieder neue Bildungsanlässe, die das Eine-Welt-Denken fördern, z. B.:
- Wie Kinder mit ihren Familien in diesem Land leben
- Unter welchen Bedingungen wird das Obst angebaut, geerntet und gehandelt
Wunderbar lassen sich auch Familien der Kindertageseinrichtung einbeziehen, die sich mit ihren Erfahrungen (eigene Herkunft oder Reiseerfahrungen) aus anderen Ländern und Kulturen am pädagogischen Alltag beteiligen möchten, z. B. mit:
- einem Kochangebot zu einem landestypischen Gericht
- einer Bilderbuchvorstellung eines Kinderbuches über das bzw. aus dem jeweiligen Land
- Fotopräsentationen zum Leben in einem anderen Land
Dabei ist es wichtig feinfühlig vorzugehen und entsprechende Anfragen z. B. eher offen an alle Familien zu formulieren. Nicht alle Familien, möchten sich öffnen und ihre persönlichen Erfahrungen und Hintergründe thematisieren oder teilen. Wichtig ist vor allem, Vielfalt und Diversität im Alltag zu leben, z. B. auch durch die Raumgestaltung, die Spielmaterialien und die Bücher, die den Kindern in der Einrichtung zur Verfügung gestellt werden.
Prinzip 4: Handeln in konkreten Situationen
Eine handlungsorientierte Vermittlung und Begleitung von pädagogischen Fachkräften stehen bei der Bearbeitung von Themen des Globalen Lernens im Vordergrund. Werden schon junge Kinder dazu befähigt, dass sie in konkreten Situationen selbstständig handeln können, erfahren sie, Positives zu bewirken. Einfache Beispiele für Handeln in konkreten Situationen sind:
- Streitschlichtung zwischen Freunden
- Unterstützung, wenn jemand Hilfe benötigt, z. B. beim Schuhanziehen
- Mitwirkung bei Spendenaktionen
- Bewässerung von Pflanzen
- Müllsammelaktionen in umliegenden Grün- und Parkanlagen
Prinzip 5: Problemlösung in Sichtweite
Kinder sollten nicht mit unlösbaren Problemen allein gelassen werden (vgl. ebd.). Hierbei geht es nicht nur um weltweite Probleme, mit denen sie konfrontiert werden, sondern auch um alltägliche Herausforderungen, die den Kindern unlösbar erscheinen z. B. ein Streit mit der besten Freundin oder das verschwundene Kuscheltier. Damit pädagogische Fachkräfte Kinder bestmöglich in Problemlösungsfindungen begleiten können, müssen sie ihnen zuhören, ihre Bedürfnisse ernst nehmen und sie mit ihren Ideen in die Lösungsfindung einbeziehen. Hierfür bietet sich z. B. das gemeinsame Philosophieren mit Kindern an. Auch Kinderparlamente können eine Kultur der Lösung schaffen.
Prinzip 6: Solidarisches Verhalten
Wir können davon ausgehen, dass Kinder schon früh über einen Gerechtigkeitssinn verfügen und sich in alltäglichen Situationen von anderen fair oder auch unfair behandelt fühlen. Auch sind sie in der Lage wahrzunehmen, wenn sich andere Menschen ungerecht behandelt fühlen. Das Prinzip des solidarischen Verhaltens impliziert sowohl Empathie als auch Verständnis und meint, sich für die Interessen von Schwächeren einzusetzen (vgl. ebd.). Um ein solidarisches Verhalten zu fördern, bedarf es einer begleitetenden Auseinandersetzung mit (Un-)Gerechtigkeit, die beispielsweise in Gesprächsrunden, durch Bilderbuchbetrachtungen oder in Projekten zum Thema Kinderrechte thematisiert werden kann. Durch einen Bezug zur eigenen Lebenswelt, fällt es ihnen später leichter, sich mit globaler (Un-)Gerechtigkeit auseinanderzusetzen, ein Mitgefühl zu entwickeln und für schwächere Menschen einzutreten.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Prinzipien in unmittelbarer Nähe zueinanderstehen und somit nicht einzeln betrachtet werden können. Globales Lernen versteht sich als gesellschaftliche Aufgabe und gelingt nur durch gemeinsames Handeln. Dafür werden Möglichkeiten und Räume für Austausch und Reflexion benötigt. Deutlich wird, dass der Bezug zur Lebenswelt ein wichtige Schlüsselfunktion ist, um Globales Lernen für Kinder im frühen Kindesalter zugänglich zu machen. Weitere Faktoren für ein gelingen der Umsetzung sind:
- Pädagogische Fachkräfte als Vorbilder
- Partizipation der Kinder
- Einbeziehung der Familien
Es gibt auch tolle Kindebücher zum Thema, eines davon möchten wir Ihnen hier empfehlen.
Alle da! Unser kunterbuntes Leben
Samira ist in einem Boot und einem Lastwagen aus Afrika gekommen. Amad vermisst seine Fußballfreunde im Irak, aber weil dort Krieg war, musste er weg. Jetzt schießt er seine Tore mit neuen Freunden in Düsseldorf. Dilara ist in Berlin geboren, kann aber perfekt türkisch und feiert gerne das Zuckerfest. Ihre Familie kam vor Jahren aus Anatolien, weil es hier Arbeit gab.
Wir kommen fast alle von woanders her, wenn man weit genug zurückdenkt. Jetzt leben wir alle zusammen hier. Das kann spannend sein und auch manchmal schwierig. Auf jeden Fall wird das Leben bunter, wenn viele verschiedene Menschen von überallher zusammenkommen.
Alle da! Unser kunterbuntes Leben | Anja Tuckermann & Tine Schulz | Klett Kinderbuch | ab 5 Jahre
Verweise
Eichner, Cornelia (2018): Globales Lernen in der Kita. In: Kindergarten heute 3/2018 (S. 10 – 14). Verlag Herder, Freiburg
Hildebrandt, Frauke (2018): Wie Kinder lernen. In: Pannier, Valeska & Karwinkel, Sophia (Hrsg.): Was Kinder wollen und warum wir darauf hören sollten. Argumente und Anregungen für eine kindorientierte frühe Bildung (S. 42 – 44). Verlag das Netz, Weimar
KiTA-GLOBAL (2022a): Was ist Globales Lernen? Verfügbar unter: https://kita-global.de/was-ist-globales-lernen/ zuletzt geprüft: 19.07.2022
KiTA-GLOBAL (2022b): Interview: Globales Lernen in der Kita… . Verfügbar unter: https://kita-global.de/interview-globales-lernen-in-der-kita/ zuletzt geprüft: 22.07.2022
Schmitt, Rudolf (2005): Einführung – Eine Welt in Kindergarten und Grundschule. In: Eine Welt für Kinder. Materialien für Kindergärten und Grundschulen (S. 3 – 5). Verfügbar unter: http://docplayer.org/21256424-Eine-welt-fuer-kinder-materialien-fuer-kindergarten-und-grundschule.html zuletzt geprüft: 20.07.2022
Zum Weiterleisen
Jasmin Geisler (2020): Die faire Kita. Nachhaltige Projekte, die Kinder begeistern. Freiburg im Breisgau: Herder.