Kindorientierte Raumgestaltung
Kindorientierte Räume sind Entwicklungsräume für kleine Entdecker und Forscherinnen und sind damit eng mit frühkindlichen Bildungsprozessen verknüpft.
Kinder bringen von Geburt an die grundlegenden Fähigkeiten mit, die sie brauchen, um sich Wissen und Kompetenzen anzueignen. Auch bei der Gestaltung der Räume muss der Fokus daher darauf gerichtet werden, dass Kinder selbsttätig lernen und wie Räume ausgestattet sein müssen, um ihre Lern- und Bildungsprozesse bestmöglich unterstützen zu können. Kinder nehmen die Welt ganzheitlich war, lernen mit allen Sinnen und benötigen daher auch eine Umgebung, die sinnlich wahrnehmbar und abwechslungsreich gestaltet ist.
Außerfamiliäre frühkindliche Bildung findet in der Regel in Kindertagesstätten statt. Kinder lernen hier meist das erste Mal eine Lebenswelt kennen, welche außerhalb ihres eigenen Zuhauses liegt – neue Personen, neue Abläufe und neue Räume. Dabei benötigen sie solche Räume, die ihnen als sichere Basis dienen, als Ort des Ankommens und als Ausgangspunkt für Erkundungen. Räume sind für kleine Kinder sowohl Lerngegenstand als auch Lernumgebung, welche sie ganzheitlich und mit allen Sinnen erforschen und erkunden. Das heißt Kinder sollten eine vorbereitete Umgebung, mit gut zugänglichen, gut sichtbaren und (sinnes-)anregenden Materialien vorfinden.
Räume sind Bildungsräume
Nach Gerd E. Schäfer (2005) verfügt jeder Mensch über Selbstbildungspotenziale. Auch Kinder steuern ihre Bildungsprozesse selbst, lassen sich dabei aber unter anderem von Raum und Materialien beeinflussen und inspirieren. Vielfältige Materialien, Angebote und Möglichkeiten sind die Grundlage für nachhaltige Bildungsprozesse. Allerdings macht eine hochwertige Ausstattung allein einen Raum noch nicht zu einem Bildungsraum, der kindliche Lernprozesse bestmöglich unterstützt. Die Räume müssen Kindern freie Entscheidungen hinsichtlich der Art der Aktivität, den Spielpartner*innen und der Zeit lassen. Das bedeutet, dass Räume stets die Möglichkeit auf Selbstbildung bieten sollten, damit das Kind möglichst unabhängig vom Erwachsenen und den gegebenen Bedingungen ist. Nicht zuletzt deswegen wird der Raum in der Reggio-Pädagogik als „der dritte Erzieher“ beschrieben (Wiebe 2011, S. 2). Bei der Erkundung und Bewegung in einem Raum sollten sich die Kinder also als selbstwirksam, selbstständig und kompetent erleben (Haug-Schnabel 2016).
Eine Besonderheit von Räumen in Kinderkrippen ist, dass sich hier Kinder in sehr unterschiedlichen Entwicklungsphasen aufhalten. Diese können von auf dem Rücken liegenden Babys, über krabbelnde Kleinkinder bis hin zu flinken Dreijährigen reichen. Daher müssen die Räume unterschiedlichste Elemente, Materialien und Angebote bereithalten, damit alle Entwicklungsstände und Bedürfnisse angemessen berücksichtigt werden können.
Wirkung von Räumen und Rolle der Fachkraft
Räume können positive aber auch negative Emotionen hervorrufen. Auch viele Erwachsene kennen dieses Phänomen, wenn beispielsweise das Wartezimmer beim Zahnarzt aufgrund der Gestaltung und der Örtlichkeit bereits Unwohlsein verursacht. Ähnlich verhält es sich auch bei Kindern und den Räumen, in denen sich ihr Leben in den verschiedensten Facetten abspielt. Fachkräfte sollten sich immer bewusst sein, dass die Raumgestaltung einen wichtigen Teil zum Wohlbefinden (oder auch Unwohlbefinden) beiträgt. Räume können:
- zum Verweilen einladen oder Flucht bewirken,
- inspirierend oder langweilig sein,
- beruhigen oder beunruhigen bzw. aufwühlen,
- bewegungseinladend oder bewegungsbremsend sein,
- zum Spielen einladen oder Spiele verhindern (vgl. Wiebe 2011, S. 4).
Gleichzeitig herrscht wahrscheinlich unter vielen Fachkräften Einigkeit darüber, dass Räume für Kleinkinder im Allgemeinen so gestaltet sein sollten, dass sie dort:
- Zugehörigkeit empfinden können,
- einen Platz für sich haben,
- Rückzugs- und Ruhemöglichkeiten vorfinden,
- Kontakt zu anderen Kindern und Bezugspersonen finden können,
- eine anregungsreiche Umwelt vorfinden,
- Selbstwirksamkeit erleben,
- verschiedene Aktivitätsbereiche ausprobieren können (vgl. Paritätischer Wohlfahrtsverband Schleswig-Holstein e. V., S. 16).
Bei der Raumgestaltung spielt die pädagogische Fachkraft eine entscheidende Rolle, denn nur durch ihre Haltung und Expertise kann aus einem Raum ein Bildungsraum werden. Fachkräfte tragen dazu bei, dass Kinder in dem jeweiligen Raum verschiedenste Entwicklungs- und Erprobungsmöglichkeiten bekommen und so vielfältige Erfahrungen machen können. Die pädagogische Fachkraft bereitet den Raum vor, beobachtet und erkennt die Themen der Kinder und schafft dahingehend neue Impulse im Raum. Hierbei hat sie eine unterstützende und gleichzeitig zurückhaltende Haltung. Im Fokus steht der Bildungsprozess und das Kind mit seiner Selbstständigkeit und -wirksamkeit (Herrmann 2014). Fachkräfte können die Prozesse in den Bildungsräumen vor allem durch soziale Unterstützung nachhaltig stärken. Dazu zählen Aufmerksamkeit, Ermutigung und Wertschätzung sowie eine ressourcenorientierte Grundhaltung (Wolf 2013). Zudem haben Fachkräfte auch bei der Art und Weise, wie sie einen Raum nutzen und wie sie mit den darin vorhandenen Materialien und Gegebenheiten umgehen, eine Vorbildfunktion.
Wie Kindorientierung in den Räumen sichtbar wird
Um einen Raum möglichst kindorientiert und bildungsreich zu gestalten, sollte das Prinzip der Selbsttätigkeit im Fokus stehen. Dafür sind anregende, zugängliche und gut sichtbare Sinnesmaterialien (z. B. Natur- und Alltagsmaterialien) in einer vorbereiteten Lernumgebung wichtig. Wenn die Materialien, die in Schubladen, Körben oder Kisten verstaut sind, mit Bild und Schrift gekennzeichnet werden, sind sie für die Kinder besser sichtbar und zugänglich. Ein Tipp: Die Kinder können die Materialien auch selbst fotografieren und an den Kisten anbringen. Auch transparente Boxen eignen sich gut, um die Sichtbarkeit für die Kinder zu erhöhen.
Wie bereits erwähnt, lernen Kinder mit allen Sinnen. Das heißt, dass diese auch in der Raumgestaltung aufgegriffen werden – Farben, Licht, Akustik und Materialbeschaffenheit werden dementsprechend mitbedacht. In unserem Beitrag „Spielmaterial in Kindertageseinrichtungen – Darauf kommt es an!“ können Sie mehr über die Materialauswahl und -präsentation lesen.
Kindorientierte Räume sind Ausgangspunkte der verschiedenen und vielfältigen Bedürfnisse der Kinder, z. B. nach Ruhe oder Bewegung, nach Gesellschaft oder Rückzug usw. So kann ein Raum beispielsweise sowohl Bewegungslandschaften und -ecken als auch Ruhemöglichkeiten zur bereitstellen. Bei kleineren Räumen oder Einrichtungen, welche weniger Platz und Räumlichkeiten zur Verfügung haben, kann mit Funktionsecken gearbeitet werden. So kann der vorhandene Platz vielfältig ausgenutzt und gleichzeitig verschiedene Bedürfnisse in einem Raum abgedeckt werden. Dabei können sowohl Raumtrenner, als auch verschiedene Raumelemente und -ebenen zum Einsatz kommen. Durch Hochebenen oder Podeste können beispielsweise „Räume in Räumen“ entstehen.
Möbel sollten möglichst flexibel einsetz- und anpassbar sein und auch von den Kindern bewegt, verändert und umfunktioniert werden können. Weiterhin sollten auch die körperlichen (Größen-)Unterschiede der Kinder, die den Raum nutzen, bedacht werden, damit auch alle Materialen für alle gut erreichbar sind und die Tische und (Sitz-)Möbel von allen Kindern bequem genutzt werden können. Kinder sollten beispielsweise immer mit beiden Füßen den Boden erreichen, wenn sie auf einem Stuhl sitzen. Das bedeutet, dass es verschiedene Tisch- und Stuhlgrößen braucht, um allen Kindern gerecht zu werden.
Zudem sollten sich Kinder in der Raumgestaltung selbst widerfinden. Das kann anhand von selbstgemalten Bildern, Werken, Fotos oder persönlichen Gegenständen umgesetzt werden. Auch die Familien der Kinder und ihr Leben außerhalb der Einrichtung können hierbei mit berücksichtigt werden. Kinder brauchen Platz für ihre persönlichen Dinge, z. B. in Eigentumsfächern, -kisten, oder -beuteln. In unserem Artikel „Warum alle Kinder ein Eigentumsfach in der Kita haben sollten“ erfahren Sie, welche Bedeutung dieser Platz für die persönlichen Dinge der Kinder hat.
Ein Blick auf die Kindorientierung in den Räumen der eigenen Einrichtung
Letztlich stellt sich die Frage, wie Fachkräfte herausfinden können, ob die Räume tatsächlich kindorientiert und entwicklungsfördernd gestaltet sind. Dafür bietet es sich vor allem an, die Kinder in Bezug auf die Raumgestaltung und -nutzung zu beobachten. Folgende Beobachtungsfragen können dabei hilfreich sein:
- An welchen Orten in der Kita halten sich welche Kinder besonders viel auf? Was tun sie dort?
- Nutzen sie diese Orte wie von uns pädagogischen Fachkräften vorgesehen oder ganz anders? Und wenn ja, warum?
- Können die Kinder in den Räumlichkeiten ihren Bedürfnissen und Interessen nachgehen?
- Welche Materialien werden von den Kindern genutzt bzw. angenommen?
- Welche Materialen nutzen die Kinder eher weniger? Gibt es Materialien, die für bestimmte Aktivitäten fehlen?
Oft hilft es auch schon, sich körperlich auf die Augenhöhe des Kindes zu begeben, um einen Perspektivwechsel zu bekommen. Schnell zeigt sich, welche Materialen aus dieser Perspektive zugänglich sind, wie die Gestaltung des Raumes wirkt und welche Entscheidungen weniger Sinn aus der kindlichen Perspektive ergeben. Die folgenden Reflexionsfragen können Aufschluss über die Kindorientierung in einem Raum geben:
- Was passiert auf der Kinderhöhe?
- Was begegnet mir auf dieser Höhe und was vielleicht auch nicht?
- Welche Materialien sind mir mit dieser Körpergröße zugänglich und welche nicht?
- Komme ich an alles ran, was ich brauche?
- Finde ich mich wieder, in dem, was mir begegnet?
Bei größeren Kindern bietet es sich an, sich von ihnen eine Raumführung geben zu lassen, um dadurch einen weiteren niederschwelligen Zugang zur kindlichen Raumwahrnehmung zu bekommen. Dazu können Lieblingsecken, Rückzugsorte und Materialien gehören, aber auch Dinge, welche die Kinder weniger positiv bewerten.
Ebenfalls kann eine Raumanalyse im Team hilfreich sein. Hierfür filmen oder fotografieren Fachkräfte die Räume der Einrichtung und besprechen und analysieren diese anschließend gemeinsam. Generell können Fotos und Videos bei allen vorgeschlagenen Methoden als Unterstützung dienen. So können durch verschiedene Perspektiven auf die Einrichtung, Materialien und die Grundausstattung Eindrücke und Veränderungsvorschläge gesammelt werden.
Wenn Veränderungswünsche und -pläne aufkommen, sollten unbedingt die Kinder hinzugezogen werden. Denn: Kindorientierte Räume sind Räume, die nicht nur für Kinder entstehen, sondern vor allem auch mit ihnen. Kinder haben sehr viele Ideen und Vorstellungen in Bezug auf die Räumlichkeiten, in denen sie einen großen Teil ihrer Zeit verbringen und sind deswegen auch in dieser Hinsicht als Expertinnen und Experten anzusehen und mit einzubeziehen. Und: es macht ihnen meist große Freude mit zu gestalten, zu basteln, umzuräumen, zu streichen und zu dekorieren.
Verweise
Wiebe, Valentina (2011): Grundlagen der Raumgestaltung für Kinder in den ersten drei Lebensjahren unter der Berücksichtigung entwicklungsbedingter und bedürfnisorientierter Aspekte. Verfügbar unter:
https://www.kitafachtexte.de/fileadmin/Redaktion/Publikationen/KiTaFT_Wiebe_2011.pdf (Zugriff am 15.06.2022).
Wolf, Susanne (2013): Raumgestaltung für Kinder unter drei. Das Konzept „bewegte Kinderkrippe“. Verfügbar unter: https://www.nifbe.de/fachbeitraege/beitraege-von-a-z?view=item&id=375:raumgestaltung-fuer-kinder-unter-drei&catid=88 (Zugriff am 15.06.2022).
Haug-Schnabel, Gabriele (2016): Raumgestaltung als verantwortungsvolle Aufgabe. Verfügbar unter: https://www.nifbe.de/fachbeitraege/beitraege-von-a-z?view=item&id=608:raumgestaltung-eine-verantwortungsvolle-aufgabe&catid=88 (Zugriff am 15.06.2022).
Schäfer, Gerd E. (2005): Bildung beginnt mit der Geburt. Ein offener Bildungsplan für
Kindertageseinrichtungen in Nordrhein-Westfalen. Weinheim: Beltz.
Paritätischer Wohlfahrtsverband Schleswig-Holstein e. V.: Ausbau U3. Kleine Kinder – großeHerausforderungen. Verfügbar unter: https://docplayer.org/15329075-Ausbau-u-3-kleine-kinder-grosse-herausforderungen-paritaetischer-wohlfahrtsverband-schleswig-holstein-e-v-www-paritaet-sh-org.html (Verfügbar unter 15.06.2022).
Mir gefällt der Artilel zur kindorientierten Raumgestaltung,ich bin als Referentin tätig.Ist es möglich diesen Artikel zum Ausdrucken zu bekommen ?
Liebe Frau Schaper-Gerdes, vielen Dank für die nette Rückmeldung. Sie können den Artikel gern einfach über ihr Browsermenü ausdrucken. Das müsste unproblematisch funktionieren.
Viele Grüße vom PädagogikBlog