Kinderrechte in der digitalen Welt
Kinder haben Rechte. Und das von Geburt an. Sie müssen diese nicht erst erwerben oder verdienen. Sie müssen auch nicht erst ein bestimmtes Alter erreichen, damit ihnen ihre Rechte in vollem Umfang zustehen. Kinderrechte sind unabhängig von bestimmten Eigenschaften, Merkmalen oder Fähigkeiten (vgl. Maywald 2019, S. 35).
Seit Inkrafttreten der UN-Kinderrechtskonvention im Jahr 1989 hat sich unsere Gesellschaft – und damit auch die Lebenswelt von Kindern – verändert. Eine große Veränderung der letzten Jahrzehnte liegt in der zunehmenden Digitalisierung. Deshalb möchten wir in diesem Beitrag die Kinderrechte aus einem veränderten Blickwinkel betrachten und sichtbar machen, welche Rechte Kinder in der digitalen Welt haben.
Recht auf Bildung und Medienkompetenz
In der UN-Kinderrechtskonvention ist in Artikel 28 das uneingeschränkte Recht des Kindes auf Bildung festgeschrieben. Ein wesentlicher Teil von kindlicher Bildung umfasst die Auseinandersetzung des Kindes mit der Welt und mit seiner unmittelbaren Umgebung. Digitale Medien und technische Geräte sind mittlerweile ein fester Bestandteil der Lebenswelt nahezu aller Kinder in Deutschland. Und diese Lebenswelt gilt es in den Alltag und in die Bildungsarbeit in Kindertageseinrichtungen mit einzubeziehen. Kinder haben ein Recht auf Teilhabe am kulturellen, gesellschaftlichen und politischen Leben und dieses spielt sich auch zunehmend im digitalen Raum ab.
Es ist also ein grundlegendes Recht eines jeden Kindes sich auch im Bereich der digitalen Medien zu bilden und diese für die eigenen Bildungsprozesse zu nutzen. Kinder haben das Recht darauf zu erfahren, wie sie digitale Medien verwenden können, um ihren Erfahrungsraum, ihre Kompetenzen und ihr Wissen zu erweitern. Sie sollen den Kindern als Werkzeuge dienen, mit denen sie ihre Welt erkunden und entdecken können. Pädagogische Fachkräfte begleiten die Kinder und stärken sie in einem selbstbestimmten, aktiven und reflektierten Umgang mit digitalen Medien (mehr zu diesem Thema finden Sie in unserem Themenheft Digitale Medien und Kinder). Allerdings sind nicht alle Pädagog*innen technikbegeistert und haben selbst noch Berührungsängste mit bestimmten Geräten und Funktionen. Aber das ist nicht schlimm, solange sie offen und neugierig sind: Dann können sie gemeinsam mit den Kindern herausfinden, wie digitale Geräte und Medien zur Wissens- und Kompetenzerweiterung genutzt werden können.
Recht auf Zugang zu den Medien
Mit dem Recht auf Bildung geht auch das Recht auf Zugang einher. Artikel 17 der UN-Kinderrechtskonvention betont das Recht eines jeden Kindes auf einen gleichberechtigten und uneingeschränkten Zugang zu (digitalen) Medien. Das heißt, jedes Kind sollte ausreichende Möglichkeiten bekommen, digitale Medien zu nutzen – und das unabhängig von seiner Herkunft, Hautfarbe, Religion, seinem sozialen Hintergrund, seinem Geschlecht oder anderer Faktoren. Schon allein dieses Recht macht die Frage überflüssig, ob Kinder mit digitalen Medien in Berührung kommen sollten oder nicht. Es stellt sich vielmehr die Frage, wie wir ihnen diesen Zugang gewähren können.
Die Anschaffung technischer Geräte wie Tablets, Laptops, Smartphones oder Digitalkameras können für eine Kindertageseinrichtung kostenintensiv sein. Entscheidet sich eine Einrichtung für den Kauf eines oder mehrerer solcher Geräte kommt meist die Frage auf, ob und in welchem Rahmen diese den Kindern frei zur Verfügung stehen sollen. Jede Einrichtung muss für sich einen Weg finden, um den Kindern einen möglichst altersgerechten und selbstbestimmten Umgang mit den Geräten zu ermöglichen und dabei trotzdem sowohl den Schutz der Geräte und vor allem auch der Kinder zu gewährleisten. Die folgenden Praxis-Tipps können dabei helfen.
Nutzungsregeln
Im Team wird zunächst geklärt, welche Regeln bei der Nutzung der Geräte auf jeden Fall gelten sollten. Diese Regeln sind nicht verhandelbar und sollten von allen eingehalten werden. Im Anschluss werden die Regeln gemeinsam mit der Gruppe besprochen. Außerdem können zusammen mit den Kindern weitere Vereinbarungen getroffen werden. So kann zum Beispiel festgelegt werden, wie sich die Kinder abwechseln, wenn mehrere gleichzeitig ein Tablet nutzen möchten. Viele weitere Fragen können auf diese Weise geregelt werden, z. B.:
- Dürfen die Geräte allein, oder nur zu zweit bzw. in Kleingruppen genutzt werden?
- Sollen die Kinder die Geräte eigenständig nutzen oder unter Aufsicht der pädagogischen Fachkraft?
- Ist eine zeitliche Nutzungsbegrenzung sinnvoll?
Kreative Lösungen helfen hier oft weiter: So können sich Kinder beispielsweise auch als Tabletexpert:innen „ausbilden“ lassen und einen Tabletschein machen, der es ihnen erlaubt, das Gerät auch mal allein nutzen zu dürfen. Außerdem können Tabletexpert:innen den weniger erfahrenen Kindern bestimmte Funktionen und Apps zeigen.
Aufbewahrung und Zugänglichkeit
Neben den Nutzungsregeln braucht es auch Regelungen zur Aufbewahrung und zur Zugänglichkeit der Geräte. Wenn der Einrichtung oder einer Gruppe beispielsweise mehrere Tablets zur Verfügung stehen, können diese in „Kindertablets“ und „Erwachsenentablets“ aufgeteilt werden und sie jeweils mit unterschiedlich farblichen Schutzhüllen oder Stickern kennzeichnen. Eine weitere Möglichkeit ist, die Geräte an unterschiedlichen Orten aufzubewahren: Je nachdem, wer sie nutzt, können sie auf Kinderhöhe oder auf Erwachsenenhöhe untergebracht werden. Um die Kinder auch im digitalen Raum zu schützen, müssen auf den Kindertablets passende technische Vorkehrungen getroffen werden (mehr dazu im Abschnitt „Recht auf Schutz und Sicherheit“).
Wenn sich die Einrichtung gegen die Anschaffung entsprechender technischer Geräte entscheidet, können die Kinder einen Zugang zu digitalen Medien erhalten, z. B. durch den regelmäßigen Besuch von Bibliotheken, die mittlerweile größtenteils über digitale Geräte sowie einen Internetanschluss verfügen.
Recht auf Meinungs- und Informationsfreiheit
Laut der UN-Kinderrechtskonvention hat jedes Kind das Recht darauf, seine Meinung frei zu äußern. Und dieses Recht gilt sowohl offline als auch online. Um sich eine Meinung zu bilden und diese frei äußern zu können, benötigen Kinder – genauso wie Erwachsene auch – bestimmte Informationen. Deswegen schließt das Recht auf freie Meinungsäußerung genauso die Freiheit mit ein, sich auch über die Staatsgrenzen hinaus auf verschiedenen Kommunikationswegen zu informieren (Art. 13 UN-KRK). Das heißt, Kinder haben das Recht sich das Internet oder digitale Geräte zu Hilfe zu nehmen, um an Informationen zu gelangen und sich zu bilden. Pädagogische Fachkräfte können Kinder dabei unterstützen, indem sie ihnen beispielsweise kindgerechte Suchmaschinen für die Recherche im Internet zur Verfügung stellen und ihnen in Projekten erklären, was das Internet überhaupt ist und wie es funktioniert. Gleichzeitig müssen Kinder lernen, sich auch in der anonymen digitalen Welt angemessen zu verhalten. Wie in allen anderen Situationen, dürfen auch im Internet andere Menschen weder diskriminiert noch beleidigt werden. Außerdem müssen sie lernen, wie sie sich selbst vor sogenanntem Cybermobbing schützen können.
Recht auf Versammlung und Vereinigung
Kinder haben das Recht sich frei mit anderen zusammenzuschließen und friedlich zu versammeln (Art. 15 UN-KRK). Auch dieses Recht lässt sich vom öffentlichen auf den digitalen Raum erweitern: z. B. auf soziale Netzwerke oder andere digitale Kommunikationswege. Dafür müssen soziale Netzwerke entwickelt werden, die kindgerecht sind und genügend Sicherheit und Schutz bieten.
Bislang fehlen leider Social Media Anbieter und Messenger Dienste, die die deutschen Datenschutzanforderungen (DSGVO) erfüllen und Kindern eine eigenaktive und selbstbestimmte Kommunikation in einem sicheren und geschützten digitalen Raum ermöglichen.
Kindersichere soziale Netzwerke und Nachrichtendienste aus dem Ausland wie Spotlite (USA), PlayKids Talk (Brasilien), Go Bubble (Großbritannien), Tocomail (USA) oder Messenger Kids (USA) sind keine attraktiven und sicheren Lösungen – zumindest nicht für die Bildungsarbeit in Kindertageseinrichtungen. Die Datenserver dieser Anbieter liegen außerhalb von Europa und entsprechen damit nicht den deutschen Datenschutzrichtlinien. Außerdem werden sie hauptsächlich in Englisch angeboten und sind deshalb – vor allem für die Kinder – nicht allgemeinverständlich.
Recht auf Privatsphäre, Sicherheit und Schutz
Kinder haben ein Privatleben, welches respektiert und rechtlich geschützt werden muss. Dieses Recht greift ebenso für die digitale Welt. Auch hier muss die Privatsphäre von Kindern gewahrt und geschützt werden. Mehr zu diesem Thema können Sie auch in unserem Blogartikel „Zwischen Freiraum und Sicherheit – Kinder und ihre Privatsphäre“ erfahren.
Jedes Kind hat Anspruch auf rechtlichen Schutz gegen Eingriffe und Beeinträchtigungen, die sein Privatleben und seine Persönlichkeitsrechte gefährden (Art. 16 UN-KRK). So kann beispielsweise die Veröffentlichung eines Fotos ohne die Zustimmung des abgebildeten Kindes bzw. seines gesetzlichen Vertreters eine schwere Verletzung der Persönlichkeitsrechte darstellen. Um diese Rechte zu schützen, müssen unbedingt rechtliche Vorgaben, wie zum Beispiel das Einholen einer Einwilligungserklärung, beachtet werden. Weitere Informationen hierzu erhalten Sie in unserem Beitrag „Fotos von Kindern in Kitas“.
Der Schutz der Privatsphäre kann im digitalen Raum nur durch entsprechende Datenschutzregelungen im Internet und in den sozialen Netzwerken realisiert werden. Personenbezogene Daten wie Name, Adresse und Telefonnummer dürfen nicht ohne Einwilligung gespeichert, weiterverarbeitet oder an andere weitergegeben werden.
Grundsätzlich darf bei allen hier aufgeführten Rechten vor allem eins nicht vergessen werden: Das Wohl des Kindes muss immer im Vordergrund stehen. Kinder müssen in allen Lebenslagen und -bereichen vor jeglicher Form von Gewalt und Diskriminierung geschützt werden. Und das gilt auch online. Das digitale Umfeld muss neben Richtlinien und Gesetzen auch technische Vorkehrungen und Schutzmechanismen bereitstellen, die den Entwicklungsstand der Kinder berücksichtigen. Gleichzeitig müssen Kinder dazu befähigt werden, sich selbst in der digitalen Welt zu schützen. Die dafür erforderlichen Kompetenzen zu fördern, ist die Aufgabe der Familien sowie der pädagogischen Fachkräfte in den Bildungseinrichtungen; den entsprechenden Rahmen und die Voraussetzungen dafür zu schaffen, liegt wiederum in den Händen der Gesetzgeber.
Weiterführende Links und Materialien
Kinderbücher zum Thema digitale Medien
Hello Ruby. Expedition ins Internet. | Linda Liukas | Bananenblau |ISBN: 978-3-946829-23-2 | ab 5 Jahre
Otto und Robotto | Ame Dyckmann & Dan Yaccarino | BOHEM | ISBN: 978-3-95939-048-4 | ab 2 Jahre
Technik zu Hause | Martin Stiefenhofer & Markus Humbach | TESSLOFF | ISBN: 978-3-7886-2215-2 | ab 4 Jahre
Kinderbücher zum Thema Kinderrechte
Wir haben Rechte! Mini-Bilderbuch. | Manuela Olten | Don Bosco | ISBN: 978-3-7698-2099-7 | ab 4 Jahre
Ich bin ein Kind und ich habe Rechte | Aurélia Fronty & Alain Serres | NordSüd | ISBN: 978-3-314-10174-8 | ab 4 Jahre
Datenschutz für Kinder erklärt
fragFINN-Serie: Digitale Spuren
Charlie und das Geheimnis der Daten
Internet für Kinder
Kindersuchmaschinen
Verweise
Maywald, Jörg (2019): Kinderrechte und Demokratiepädagogik: Den Kinderrechtsansatz in der Kita verwirklichen. In: Schneider, Armin / Jacobi-Kirst, Carmen (2019): Demokratiepädagogik in Kindertageseinrichtungen. Partizipation von Anfang an. Opladen, Berlin, Toronto: Verlag Barbara Budrich. S. 35-48.
Schneider, Armin / Jacobi-Kirst, Carmen (2019): Demokratiepädagogik in Kindertageseinrichtungen. Partizipation von Anfang an. Opladen, Berlin, Toronto: Verlag Barbara Budrich.
https://www.kinderrechte.de/kinderrechte/un-kinderrechtskonvention-im-wortlaut/#c3234