Ich will etwas, was du nicht willst!
Wie herausfordernde Situationen im Alltag mit Kindern entstehen und gelöst werden können
Ein Beitrag von Robert Gärtner
Der Alltag mit Kindern ist manchmal eine Herausforderung – egal ob im professionellen Kontext bei der pädagogischen Arbeit in einer Einrichtung oder im Familienalltag und dem Zusammenleben als Familie – man ist immer auf die Kooperation bzw. Zusammenarbeit der Kinder angewiesen. Die Herausforderung hierbei ist: Je jünger die Kinder, desto größer der Erziehungsauftrag. Außerdem stellt sich häufig die Frage, inwiefern Erziehung und Kooperation zusammenpassen. Unsere Erwartung als Erwachsene an Kinder ist häufig wenig auf Kooperation ausgelegt: „Mach was ich dir sage!“ – „Räum die Spielecke auf!“ oder „Sitz still am Esstisch!“. Die Beispiele machen deutlich, dass wir Erwachsenen uns eher in der Rolle sehen, Regeln aufzustellen und deren Einhalten zu überwachen. Gut, wenn die Kinder unseren Vorgaben folgen – doch wir kennen auch die Situationen, wenn das nicht der Fall ist. Dann wird es besonders für uns schwierig.
Das machst du nur um mich zu ärgern!
Schnell fühlen wir uns dann durchaus provoziert oder haben das Gefühl, das Kind macht dies mit Absicht – ganz besonders wenn dann noch ein Grinsen im Gesicht wahrzunehmen ist. Das passiert häufig, wenn wir mit dem Kind „schimpfen“. Das Grinsen könnte jedoch auch eine Reaktion auf die Kritik sein (Selbstschutz, der nicht in Worte gefasst werden kann) oder es könnte eine (angeborene) Beschwichtigungsgeste sein. Hier ist es wichtig, dass wir innerlich einen Schritt zurück machen:
Kein Kind steht früh auf und überlegt sich, wie es heute seine Eltern oder Erzieher:in ärgern kann.
Kein Kind steht früh auf und nimmt sich vor, das System zu sprengen.
Kinder wollen geliebt und gesehen werden, sie wollen sich in die Gemeinschaft einbringen und dass es allen gut geht und eine schöne Zeit miteinander erleben. In solchen Situationen innerlich zurückzutreten bedeutet auch, sich zu überlegen:
- Warum empfinde ich gerade so?
- Warum fühle ich mich provoziert oder herausgefordert?
- Was ist mein Anteil an der Situation?
Als Erwachsene, auch als professionelle Fachkraft, sind alle von subjektivem Erleben und eigenen Erfahrungen geprägt und geleitet. Diese bestimmen wie wir Situationen wahrnehmen und erleben.
Versteh mich!
Der Schritt innerlich zurück ermöglicht uns, den Blick nochmal auf das Kind zu richten: Was sind seine Bedürfnisse? Was sind mögliche Ursachen oder Gründe, warum das Kind sich so verhält?
Dass Kinder viele Dinge erst noch lernen müssen, gerät im Alltag häufig in den Hintergrund. Wichtige Fragen sind dabei zum Beispiel: Ist die gestellte Anforderung an das Kind passend? Kann ich das bereits vom Kind erwarten?
Kinder müssen einen angemessenen sozialen Umgang erst lernen: Bei einem Streit nicht zu schlagen und Konflikte zu lösen sind Dinge, welche Kinder im Kindergartenalter bis zum Schuleintritt lernen – und lernen heißt eben auch: nicht sofort oder immer können und vor allem nicht erwarten oder voraussetzen.
Oftmals vergessen wir,
- dass Lernen heißt zu Wiederholen. Die Verlässlichkeit von Regeln und Grenzen lernen Kinder dadurch, dass sie sich häufiger vergewissern, ob diese noch da sind.
- dass auch Kinder das Recht auf einen eigenen Willen haben und dieser nicht zwingend im Einklang sein muss mit dem, was wir gerade wollen.
- wie schwer es uns fällt aus einer Situation, die uns Spaß macht von einem Moment auf den anderen zu wechseln und eine andere Anforderung/Sache zu verfolgen: Ins Spiel vertieft, soll plötzlich aufgeräumt werden oder die Eltern stehen auf einmal da zum Abholen.
- dass Kinder ihre Gefühle und Bedürfnisse sprachlich noch nicht so ausdrücken können, sondern sich eher in ihrem Verhalten ausdrücken. Und zu guter Letzt vergessen wir oftmals, dass auch Kinder mal schlechte Tage haben (dürfen) – so wie wir Erwachsene auch.
All das sind herausfordernde Situationen für das Gehirn des Kindes – diese Fähigkeit des Gehirns, von einer Situation auf eine andere “umzuschalten”, nennt sich kognitive Flexibilität und muss durch Erfahrung erlernt werden.
In herausfordernden Situationen müssen Erwachsene oft Übersetzungsarbeit leisten: Was ist eigentlich das Bedürfnis des Kindes gerade? Was ist der Grund sich so zu verhalten? Was ist der Auslöser für das Verhalten? Es ist wichtig zu wissen, dass jedes Verhalten immer einen Auslöser hat und kommt niemals aus dem Nichts.
Halte und unterstütz mich!
Das Wichtigste für das Kind ist, dass wir auch in diesen schwierigen Momenten seelisch und körperlich beim Kind bleiben – es nicht alleine lassen, es nicht abwerten in seiner ganzen Person. Das gibt die Möglichkeit, das Kind beim Aushalten von Gefühlen zu begleiten, die Gefühle des Kindes wertzuschätzen und zugleich gemeinsam mit dem Kind die Gefühle zu regulieren. Je nach Entwicklungstand des Kindes, kann das Kind gefragt werden, was es gerade braucht, um sich zu regulieren. Körperkontakt, ein Kuscheltier, ein bestimmtes Lied vorgesungen bekommen. Die Möglichkeiten sind so vielfältig und individuell, wie es auch die Kinder und die begleitenden Erwachsenen sind.
Gemeinsam mit dem Kind in einer entspannten Situation zu besprechen und Abmachungen zu treffen, was es in emotionalen und schwierigen Situationen braucht, kann für Kind und Erwachsene Sicherheit und Struktur bedeuten und helfen durch herausfordernde Situationen zu manövrieren.
Kann dem Bedürfnis des Kindes gerade stattgegeben werden kann – auch wenn mein Plan als Erwachsener oder die Planung des pädagogischen Alltags ein anderer ist? Manchmal benötigen Kinder in komplexen Situationen die Aufschlüsslung in kleinere Teilschritte um Situationen besser bewältigen zu können. Die Aufforderung „Wir gehen jetzt in den Garten. Zieht euch bitte an“ ist eine komplexe Situation mit vielen Teilschritten. Hier hilft es manchen Kindern, dabei begleitet zu werden oder die Aufforderung in kleinere Sequenzen zu zerlegen, die besser überblickbar sind: „Wir gehen erst einmal in die Garderobe“, „Jetzt ziehen wir die Jacke und die Schuhe an“. Dies kann das Bedürfnis nach Sicherheit und Struktur unterstützen.
Das Kind zu begleiten und es in seinen Entwicklungsaufgaben dabei zu unterstützen, mit seinen Emotionen umgehen zu lernen, Handlungsstrategien aufzuzeigen, vorzuleben und gemeinsam zu entwickeln, ist eine große und wichtige Aufgabe in der pädagogischen Arbeit mit Kindern und dem Zusammenleben mit den eigenen Kindern.
Gastautor
Robert Gärtner ist Referent in der Abteilung Familienbildung bei FRÖBEL Bildung und Erziehung gGmbH
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FRÖBEL-Podcast: Herausforderndens Verhalten bei Kindern
Buchtipp
Cantzler, Anja. Schätze finden statt Fehler suchen. Verlag Herder GmbH. 2023
Pfeffer, Simone. Sozial-emotionale Entwicklung fördern – wie Kinder in der Gemeinschaft stark werden. Verlag Herder GmbH. 2019