Kommunikation mit Kindern in besonderer Bedarfslage
Ein Beitrag von Sandra Gaßen
„Die ganze Kunst der Sprache besteht darin verstanden zu werden“
Konfuzius
Es gibt Kinder, mit denen wir aus verschiedenen Gründen nicht in gesprochener deutscher Sprache barrierefrei kommunizieren können. Wir, als Fachkräfte, aber auch die Kinder selbst, erleben dann die Kommunikation und sprachlichen Verständigung miteinander als herausfordernd.
Dass Kinder wenig oder keinen Zugang zur gesprochenen deutschen Lautsprache haben, kann unterschiedliche Gründe haben. Es kann begründet sein in einer angeborenen oder erworbenen Behinderung. Dies kann zum Beispiel auf Kinder mit einer Hörbeeinträchtigung, einer geistigen Behinderung, einer Autismusspektrumsstörung oder mit einer Form von Mutismus zutreffen. Es kann sein, dass diese Kinder in der Kommunikation mit fremden Personen beeinträchtigt sind, von vertrauten Personen aber durchaus verstanden werden.
Auch Kinder, die in einer Familie aufwachsen, in der eine andere Sprache oder eine Form der non-verbalen Kommunikation genutzt wird, können zunächst Schwierigkeiten haben die gesprochene Sprache zu verstehen.
Ein respektvoller Umgang mit der Lebenswelt des Kindes, der individuellen Möglichkeiten der Kommunikation und der jeweiligen Sprache – auch wenn wir sie selbst nicht beherrschen- ist eine wichtige Grundhaltung in der Betrachtung des Themas.
Die Funktion von Sprache
Sprache hat den Sinn, Informationen zu übermitteln und zwischenmenschliche Verständigung herbeizuführen. Dabei fungiert sie als eine Art „Schlüssel zur Welt“. Sie macht es möglich, dass Kinder ihre Bedürfnisse zum Ausdruck bringen, wir als Fachkräfte auf die Kinder reagieren können, um Inhalte zu vermitteln und durch Sprache auch Nähe und Verständnis herzustellen. Sprache dient laut Edward Sapir als eine Methode zur Übermittlung von Gedanken und Gefühlen, sowie Wünschen.
Zudem benennt Wikipedia zwei wesentliche Merkmale zur Definierung vom Wort „Kommunikation“. Zum einen, die „Verständigung durch die Verwendung von Zeichen und Sprache“ und betont zum anderen zwei Arten der Kommunikation, nämlich die „sprachliche und die nonverbale Kommunikation“. Es wird hier deutlich, dass Sprache und Kommunikation per Definition nicht allein gesprochene Sprache meint, sondern zum Beispiel Gebärden und andere non-verbale Kommunikationsformen beinhaltet. Sprache vermittelt nicht nur Wissen und Informationen, sondern auch Gefühle und Empathie ausdrücken und dient dazu in Kontakt mit Menschen zu treten.
„Die Grenzen meiner Sprache bedeutet die Grenzen meiner Welt“
Ludwig Wittgenstein
Gesprochene Sprache wird in der Kita genutzt. um unter anderem Tagesabläufe, Struktur und Inhalte zu vermitteln. Für Kinder, die die gesprochene Sprache (noch) nicht sprechen, bedeutet dies, dass sie nicht immer den Zugang zu allen Informationen erhalten und sie Zusammenhänge möglicherweise nicht verstehen. Es kostet sie dann mehr Energie und ist herausfordernder, sich im Alltag ihrer Kindertageseinrichtung zu orientieren. Sie erfassen Informationen nicht beiläufig, sondern müssen sich auf das Gesprochene fokussieren. Gegebenenfalls gehen auch Inhalte, die Wissen vermitteln sollen, an ihnen vorbei und sie erhalten somit weniger Zugang zu gezielten Bildungsangeboten in der Kindertageseinrichtung.
Kinder, die nicht in gesprochener deutscher Sprache barrierefrei kommunizieren, können deswegen Verhaltensweisen und Reaktionen zeigen, die wir als Pädagog*innen zunächst nicht immer einordnen können. Diese Verhaltensweisen und Reaktionen können Irritationen beim Gegenüber auslösen und dadurch als störend empfunden werden. Hier heißt es für pädagogische Fachkräfte in die Reflexion zu gehen und herauszufinden, warum dieses Verhalten als störend empfunden wird.
Kinder, die sich nicht an Morgenkreisen beteiligen, zeigen dieses Verhalten, da sie womöglich den gesprochenen Inhalten nicht folgen können. Kinder, die der gesprochenen Sprache nicht gut folgen können, können Schwierigkeiten haben Übergänge zu gestalten, da sie sich Verständnisses nicht gut im Kita Alltag und dessen Routinen orientieren können. Aufforderungen können sie nicht sinnentnehmend folgen oder sie verstehen nur einzelne Inhalte und erschließen sich den Kontext teilweise selbst – sie raten dann was gemeint sein könnte und versuchen einen Sinn herzustellen zwischen dem Kontext und den einzelnen Worten, die sie verstehen konnten. Sie können dann zum Teil Mehrfachaufforderungen nicht umsetzen und wirken orientierungslos. Sie merken durchaus, dass ihre Interaktionspartner*innen irritiert sind und reagieren mit Rückzug oder Frust, der sich wiederum in Wut oder Vermeidungsstrategien auflösen könnte.
Sprache wird genutzt um Gefühle und Wünsche zu transportieren. Kindern, die wir nicht verstehen können, ist es oft nicht möglich ihre Wünsche und Gefühle so auszudrücken. Dies kann sowohl die Interaktion mit Erwachsenen, als auch mit anderen Kindern beeinflussen. Es kann in Spielsituationen zu Missverständnissen kommen und durchaus zu Ablehnung führen. Teilweise wird die Beziehungsgestaltung dadurch beeinflusst und die Kinder erhalten von Kindern, aber auch von Fachkräften weniger Beziehungs- und Interaktionsangebote. Eine Co-Regulation, die nur auf Lautsprache basiert, verhindert, dass Kinder lernen die eigenen Gefühle einzuordnen und zu verstehen und dann im zweiten Schritt, wenig Handlungsstrategien erwerben können, um diese Gefühle zu regulieren.
Kinder, die möglicherweise vielen Momenten in ihrem Kita Alltag ausgesetzt sind, in dem sie Frust, Wut und Traurigkeit aufgrund der nicht gelingenden Kommunikation erleben, benötigen umso mehr die Unterstützung von Fachkräften, um mit diesen Emotionen umgehen zu lernen.
Doch wie gelingt uns dies, wenn wir gesprochene Sprache nutzen, die die Kinder nicht vollständig verstehen können?
„Das Stärken von Sprachen ist immer gut für ein Kind und die Entwicklung einer Sprache kann einer anderen niemals schaden“
Zwetelina Ortega
Die Teilhabe in der Kindertageseinrichtung und die Möglichkeit sich partizipativ an der Gestaltung des Kita Alltags zu beteiligen, kann eingeschränkt sein. Es muss uns also gelingen, eine tragfähige Kommunikation mit allen Kindern zu etablieren. Wenn wir uns mit dem Thema Kommunikation und Sprache beschäftigen und uns fragen, wie wir Kinder erreichen, die nicht unsere Form der Kommunikation nutzen, müssen wir uns zunächst bewusst werden, dass gesprochen Sprache nicht die einzige Möglichkeit ist miteinander in Kontakt zu treten, sich verständlich zu machen und miteinander zu kommunizieren.
Alltagsintegrierte Sprachbildung
Alltagsintegrierte Sprachbildung findet in den Kindertageseinrichtungen natürlich kontinuierlich statt und unterstützt die kindliche Sprachentwicklung aller Kinder. Ziel ist es, sprachliche Fähigkeiten anzuregen und weiterzuentwickeln. Dies ist selbstverständlich ein grundlegender Bestandteil des Bildungsauftrags von Kitas. Ein Fokus liegt darin, die Sprachfreude anzuregen, indem sich die Fachkräfte an den Ressourcen und Interessen des Kindes orientieren. Dem Aufbau der Beziehung zum Kind kommt in diesem Ansatz eine besondere Bedeutung zu. Auch nonverbale Methoden, wie Nutzung von Mimik und Gestik werden hier eingesetzt.
Dennoch müssen wir im Alltag erkennen, dass nicht allen Kindern ein Zugang zur gesprochenen Lautsprache möglich ist oder dass dieser Prozess viel Zeit benötigt. Es ist daher wichtig, Kindern, auf die dies zutrifft, die Möglichkeit zu bieten eine Verbesserung ihrer Verständigung im Alltag der Kindertageseinrichtung zu geben und den Einsatz von Kommunikationshilfen wie zum Beispiel den Einsatz von Gebärden in unterschiedlicher Form, technischen und nicht technischen Kommunikationshilfen und den Einsatz von grafischen Symbolen zu ermöglichen.
Alle Kinder profitieren vom Einsatz solcher Methoden, da diese gemeinsam haben, den Zugang zur Lautsprache zu fördern und zu erleichtern. Dies gilt natürlich auch für Kinder, welche das Entwicklungsalters des Lautspracherwerbs noch nicht erreicht haben oder die ‚Deutsch als Zweitsprache‘ erlernen.
Ein weiterer wichtiger Punkt ist eine Vermittlung von Strategien des Umganges mit der speziellen kommunikativen Voraussetzung, um mit den dadurch hervorgerufenen Emotionen umgehen zu lernen. Daher kommt der Vermittlung von Coping Strategien eine weitere wichtige Rolle zu.
Dieser Artikel ist der erste einer Artikelreihe. Die folgenden Artikel werden sich vertieft mit den alternativen Kommunikationsformen auseinandersetzen.
Gastautorin
Sandra Gaßen ist Fachberaterin bei Fröbel Bildung und Erziehung gGmbH
Zum Weiterlesen
Erst- und Zweitsprache: zum Umgang mit Begriffen
Filmtipp
Frühkindlicher Spracherwerb: Gehörlose Kinder – hörende Eltern