Von der Mediennutzung zur Medienbildung – Die Kita als digitaler Erfahrungsraum
Die digitale Welt umgibt uns Erwachsene und Kinder in vielfältigster Weise
Digitale Medien sind aus unserem Alltag nicht mehr wegzudenken. Sie bieten uns viele Möglichkeiten, uns zu informieren, zu unterhalten, zu lernen und zu interagieren. Insbesondere nach der Digitalisierungswelle in Zeiten der Pandemie, haben Einfluss und Präsenz von digitalen Medien noch einmal deutlich zugenommen. Wir bilden uns digital Meinungen und eignen uns Wissen an. Denkt man einmal an die Möglichkeiten und Trends von „Social-Media“ Plattformen, fällt auf, dass all diese Berührungspunkte mit digitalen Medien häufig auch gleichzeitig stattfinden können. Wir können heute in Sekunden unsere Eindrücke teilen und erhalten oft genauso schnell das erste Feedback. Das führt mitunter auch zu einer Überreizung. Der „digitale Fußabdruck“, den wir hinterlassen, wächst.
Die fortschreitende Digitalisierung, wirkt sich auch auf den kindlichen Erfahrungsraum aus. Über ein Streamingangebot wird die abendliche Fantasiereise auf dem Smartphone abgespielt. Geschwister unterhalten sich über einen lustigen Onlinetrend. Es gibt sogar Kinderzahnbürsten, die sich mit einer App verbinden lassen, um die Putztechnik spielerisch zu verbessern.
Digitalisierung schreitet unumkehrbar voran
Je mehr digitale Medien in unseren gesellschaftlichen und sozialen Erfahrungsraum integriert werden, desto wichtiger ist es, dass diese und zukünftige Generationen eine gute digitale Bildung erfahren. Dabei ist die stetig fortschreitende Digitalisierung kein Angebot, für das sich Kinder und Erwachsene optional entscheiden können. In einer Zeit, in der…
- Elternarbeit digital über Apps stattfindet,
- Bildungsdokumentation digital festgehalten und geteilt wird,
- Informationen und Nachrichten zuerst (und häufig auch exklusiv) online verbreitet werden,
- bestimmte Bildungsangebote nur digital zur Verfügung stehen und
- Kunst und Kultur eine digitale Entwicklung nimmt …
…ist es nicht länger möglich digitale Medien als „optional“ zu betrachten. Dies ist auch dem Umstand geschuldet, dass es im Zuge der Entwicklungen von „Internet“ und „Smartphone“ keine gesellschaftliche Debatte und Reglementierung darüber gab, in welchem Maße wir digitale Medien in unseren Lebensraum integrieren wollen. Die Digitalisierung hat einen so zentralen Stellenwert in unserem alltäglichen Leben erreicht, dass der (richtige) Umgang mit digitalen Medien zu einer wesentlichen Voraussetzung für Chancengleichheit, Teilhabe und Kommunikation geworden ist.
Die fortschreitend digitalisierte Lebenswelt stellt so Erwachsene und Kinder vor eine Vielzahl an positiven und negativen Auswirkungen. Dabei beginnt die digitale Biografie immer früher: So zeigen beispielsweise die Ergebnisse der miniKIM Studie zur Mediennutzung von Kindern und Eltern, dass Kinder früh vielfältige Erfahrungen mit Medien machen: Sie wachsen mit digitalen Medien in ihrer Umgebung auf, nehmen Medienangebote aktiv wahr, wählen Inhalte entsprechend ihres Entwicklungsstandes selektiv aus und integrieren sie in ihren Alltag.
Medienkompetenzförderung wirklich von Anfang an?
Digitale Medien spielen in Familien eine wachsende Rolle und die Medienerziehungsstile von Eltern sind in der Regel weniger emotional begründet, sondern insbesondere auch durch Bildungshintergründe und verfügbare Ressourcen bedingt. Dabei hängt die Anschlussfähigkeit von Kindern auch von der Qualität der familiären Medienerfahrungen ab (vgl. Kutscher, 2021).
Damit nicht genug: Digitale Medien entwickeln sich derart schnell weiter, dass es eine Haltung des lebenslangen Lernens braucht, um in den wesentlichen Entwicklungen nicht abgehängt zu werden. Es ist kaum verwunderlich, dass die Gesellschaft auf technische Entwicklungen mehr reagiert, als proaktiv zu steuern. Doch gerade in der frühkindlichen Bildung ist es wichtig vorausschauend mit gesellschaftlichen Entwicklungen umzugehen. Wir leisten unseren pädagogischen Beitrag zur Medienkompetenzförderung schon heute, um den Bedarfen der Schüler:innen von morgen gerecht zu werden. Das ist ein klares Argument für die Notwendigkeit einer kontinuierlichen frühpädagogischen Debatte über digitale Bildung. Gerade vor dem Hintergrund der Chancengleichheit und Teilhabe, ist der Kindergarten der richtige Ort, um Medienkompetenzen zu fördern und so Medienbildung zu ermöglichen.
Als Pädagog:innen sind wir immer auch auf der Suche nach Möglichkeiten, Kinder beim Erfahren und Verstehen ihrer Lebenswelt zu begleiten. Gerade deshalb ist es, in Anbetracht der stetig fortschreitenden Digitalisierung, eine wesentliche Aufgabe der Pädagogik, Kindern eine vielseitige Medienbildung zu ermöglichen. Dies gelingt jedoch nur auf der Basis einer guten Medienkompetenzförderung. In unserem Artikel „So werden digitale Medien zum selbstverständlichen Teil des pädagogischen Alltags“ bekommen Sie weitere Tipps für den Umgang mit digitalen Medien in Kindertageseinrichtungen.
Die Kita: „Schutzraum“ vs. „Erfahrungsort“
Noch immer gibt es in der Gesellschaft, auf Elternabenden und in Teamsitzungen konträre Positionen zur digitalen Mediennutzung in der Frühpädagogik. Einerseits wird die Kita als „Schutzraum“ begriffen, der den Kindern analoge Erfahrungen bieten sollte, wie etwa Bewegung oder Natur. Digitale Medien werden aus dieser Perspektive heraus eher problematisiert.
Anderseits wird die Kita auch als ein Erfahrungsort verstanden, der durch digitale Medien bereichert wird, um so auch aktuellen Lebenswirklichkeiten und Bildungsbedarfen von Kindern gerecht zu werden.
Vor dem Hintergrund der bereits erwähnten Ganzheitlichkeit und Geschwindigkeit von Digitalisierungsprozessen, lässt sich ein Schutzreflex durchaus nachvollziehen. Zugleich sind es gerade die Aspekte der Entwicklungsgeschwindigkeit und Ganzheitlichkeit, die einen digitalen „Schutzraum Kita“ unflexibel, eindimensional und kurzfristig erscheinen lassen. Wenn wir im Setting der institutionellen Bildung einen Raum sehen, in dem Werte und Normen von Kindern aktiv entwickelt, gelernt und reflektiert werden, wenn wir Kinder einladen kritisch zu denken, Dinge zu hinterfragen und gesellschaftliche Normen mit ihnen gemeinsam neu konstruieren, dann können wir ihnen auch zugestehen, dass aus ihnen kompetente Mediennutzer:innen werden können.
Das bedeutet nicht, dass eine gewisse Skepsis gegenüber dem Einsatz von digitalen Medien nicht angebracht wäre. Gerade wenn digitale Medien wichtige analoge Erfahrungs- und Bildungsgelegenheiten ersetzen, wenn es um einen reinen Medienkonsum geht oder wenn ein zu enger Fokus auf den Erwerb von technischen Kompetenzen gelegt wird, ist es wichtig, das pädagogische Handeln zu reflektieren.
So kann ein Tablet beispielsweise eingesetzt werden, um ein digitales Wimmelbild zum Thema „Tiere im Garten“ zu bearbeiten. Es kann aber auch genutzt werden, um einem Schmetterling bei der Landung einmal ganz genau und in Zeitlupe zuzusehen. An diesem einfachen Beispiel lassen sich schnell unterschiedliche Qualitäten von Mediennutzung herausarbeiten. Analoge und digitale Erfahrungen schließen sich also nicht immer gegenseitig aus. Im besten Falle ergänzen sie sich und finden gleichzeitig statt. Noch mehr Impulse zum Einsatz digitaler Medien in Kindertageseinrichtungen finden Sie im Themenheft Digitale Medien und Kinder.
Durch Medienkompetenzförderung zur Medienbildung
Um mit digitalen Medien zu arbeiten, werden von pädagogischen Fachkräften oftmals zahlreiche Hürden und Stolpersteine überwunden. Das Aneignen von technischen Kenntnissen, die Einrichtung von digitalen Geräten, die Auswahl von Apps und Tools und die Entwicklung von pädagogisch sinnvollen Nutzungsmöglichkeiten: solche Aspekte können pädagogische Fachkräfte vor Herausforderungen stellen. Dabei berücksichtigt diese Aufzählung noch nicht einmal die vorherrschenden strukturellen Rahmenbedingungen und die benötigte Vor- und Nachbereitungszeit.
All diese Maßnahmen werden ergriffen, um eine gute pädagogische Arbeit mit Medien zu ermöglichen. Diese Schritte sind wichtig und es ist immer wieder beeindruckend, wie Teams gemeinsam und erfolgreich den Weg der Digitalisierung gehen. Doch gerade weil hier große Herausforderungen zu überwinden sind, tritt ein weiterer wichtiger Aspekt der Medienbildung manchmal in den Hintergrund: Die Auseinandersetzung über digitale Medien, mit dem Team, mit den Familien und vor allem mit den Kindern.
Medienkompetenz bezieht sich auf die Fähigkeiten, die notwendig sind, um mit digitalen Medien umzugehen. Dazu gehören technische Fähigkeiten wie die Bedienung von Geräten und Anwendungen, aber auch kritische Fähigkeiten wie die Beurteilung von Informationen und die sichere Nutzung von Online-Diensten.
Medienbildung hingegen bezieht sich auf die reflexive Auseinandersetzung mit digitalen Medien. Dabei geht es darum, ein Verständnis für die Rolle von Medien in der Gesellschaft zu entwickeln und die Fähigkeit zu erlangen, Medieninhalte kritisch zu hinterfragen und zu bewerten.
Beide Aspekte sind – im Hinblick auf eine zunehmend digitale Welt – wichtiger denn je. Medienkompetenz ermöglicht es Kindern und Erwachsenen, sich mit Bildungsthemen auch digital auseinandersetzen zu können und beinhaltet darüber hinaus Fähigkeiten, die sie benötigen, um Medien sinnvoll zu nutzen. Dazu gehört unter anderem:
- für sich selbst (oder mit Eltern) Sinnvolles und Interessantes aus dem großen Medienangebot auszuwählen, statt wahllos zu konsumieren.
- die Inhalte einzuordnen und zu verarbeiten.
- Medienangebote und Werbung kritisch zu beurteilen.
- Medienbotschaften zu hinterfragen und sich nicht von der Anziehungskraft von Medienklischees einfangen zu lassen.
- Medien auch dazu zu nutzen, kreativ zu sein und sich mit anderen auszutauschen.
Der Begriff der Medienbildung geht aber noch weit darüber hinaus und beschreibt einen Reflexionsprozess, der es Kindern auch ermöglicht zu verstehen was Medienkonsum mit ihnen macht und wie Medien uns als Individuum und Gesellschaft beeinflussen. Gerade wenn man die aktuellen Entwicklungen der gesellschaftlichen Mediennutzung auch kritisch betrachtet, muss man deshalb die Relevanz einer guten und fundierten Medienbildung anerkennen.
Drei Handlungsansätze, um eine qualitativ hochwertige digitale Bildung für Kinder zu ermöglichen
Eine Frage der Haltung
Insbesondere in Teamsitzungen und auf Fortbildungen haben pädagogische Fachkräfte die Möglichkeit ihre Haltung gegenüber digitalen Medien zu professionalisieren, zu reflektieren und dialogisch – als Team – zu festigen. Dieser Aushandlungsprozess ist nur mittelfristig zu bewältigen und erfordert, dass alle Beteiligten ihr eigenes Nutzungsverhalten reflektieren und hinterfragen. Dabei ist es noch einmal wichtig zu betonen, dass auch eine eher kritische Haltung gegenüber digitalen Medien kein Ausschlusskriterium für eine Förderung von Medienbildung ist. Im Gegenteil. Umso wichtiger ist es, dass pädagogische Fachkräfte gemeinsam Angebote schaffen, die Kinder dazu befähigen auch in der digitalen Welt selbstbestimmt und reflektiert zu handeln. Die Handreichung „Digitale Medien in der Frühkindlichen Bildung“ (Ministerium für Kinder, Familie, Flüchtlinge und Integration des Landes Nordrhein-Westfalen) kann hier eine gute Orientierungshilfe mit Praxisbeispielen sein.
Voraussetzungen schaffen
Mit dem Digitalpakt Kita gehen wir in Deutschland bereits einen wichtigen Schritt, um digitale Bildung im institutionellen Setting überhaupt zu ermöglichen. Die Initiative verfolgt das Ziel, allen Kitas in Deutschland einen bundesweiten einheitlichen Standard für die digitale Bildung zu ermöglichen. Dabei sollen analoge Kita-Prozesse (z. B. Portfolio-Arbeit und Beobachtungsdokumentation) erleichtert und beschleunigt werden, damit Fachkräfte mehr Zeit für die Begleitung der Kinder haben. Außerdem sollen die Gesundheits- und Medienkompetenzen der pädagogischen Fachkräfte und der Kinder gestärkt werden.
Dieser Prozess ist weiterhin in vollem Gange und noch längst hat nicht jede Einrichtung einen stabilen und schnellen Internetzugang. Auch entsprechende Softwarepakete werden aktuell noch immer an die Bedarfe der pädagogischen Fachpraxis angepasst. Doch die Wirtschaft, die Politik, das Gemeinwesen und die Wissenschaft, haben sich auf den Weg gemacht und ebnen so – gemeinsam mit den Trägern und Einrichtungen – den Weg für einen bundesweiten Standard.
Kinder und Familien mit einbeziehen
Während Digitalisierungsprozesse bereits mit viel Initiative in der Kita umgesetzt werden, um mittelbare pädagogische Arbeit effektiver zu gestalten oder Kommunikationswege zu verkürzen, wird die Perspektive und Partizipation von Kindern vergleichsweise selten als Ressource genutzt. Dabei können Gespräche und Diskussionen mit Kindern wichtige Handlungsfelder auftun und eine bedarfsgerechte, individuelle digitale Bildung erst ermöglichen. Sei es im Morgenkreis, in der Projektarbeit oder beim gemeinsamen Essen. Es gibt viele Möglichkeiten mit Kindern alltagsintegriert über Ihre Haltungen und Bedarfe ins Gespräch zu kommen. Medienbildung findet in einem Reflexionsprozess statt, den Pädagog:innen mit Kindern gemeinsam (ko-konstruktiv) gestalten können.
Gleiches gilt auch für die Zusammenarbeit mit Familien. Es ist gerade der gemeinsame Aushandlungsprozess, der es Familien und Einrichtungen ermöglicht, eine gemeinsame und gewinnbringende Haltung zu Themen der digitalen Bildung zu gewinnen. Wie eingangs erwähnt, ist die familiäre Medienerziehung auch an Ressourcen geknüpft und eine gemeinsam ausgehandelte und professionalisierte Haltung ist eine wichtige Ressource, die Kindern, Fachkräften und Sorgeberechtigten Sicherheit und Orientierung bietet. Auch wenn die Aushandlung nicht immer einfach ist, so ist die Entwicklung einer gemeinsamen Haltung ein zentraler Gelingensfaktor für eine gute digitale Bildung in der Kita.
Verweise
Kutscher, Nadia (2021): Keynote 4. Digitalität und Digitalisierung in der frühen Kindheit. Video im Rahmen des Fachkongresses „Potenziale der Kindheit – Perspektiven der Frühen Bildung – BMBF“.
Zum Weiterlesen
Stöbern Sie gern in unseren anderen Blogartikeln zum Thema Digitale Medien, z. B.:
Kinderrechte in der digitalen Welt
Sprachanlässe mit digitalen Medien schaffen und gestalten
Oder Sie schauen sich auf anderen Seiten um, die zahlreiche Tipps und Infos rund um eine gelingende Medienbildung bereithalten:
Medienpädagogischer Forschungsverbund Südwest (mpfs)
Initiative „Gutes Aufwachsen mit Medien“ des Deutschen Jugendinstituts (DJI)
„Internet-ABC“ für Kinder, Eltern und Pädagoginnen/Pädagogen
Medienkompetenzportal „klicksafe“